Vorsichtiger Hinweis: Ich finde es nicht zielführend, bei einer Diskussion / einem Gespräch über Geschichte immer Beispiele aus fiktionalen Romanen mit einfließen zu lassen. Margaret Mitchells "Vom Winde verweht" mag ein tolles Buch sein, als Grundlage für historisches Wissen taugt es nicht (immer). Rhett Butler ist ein fiktionaler Charakter und kein Blockadebrecher, der wirklich existierte.
Mitchells Roman Vom Winde verweht erschien Ende der 1930er Jahre, sie kannte die Sklaverei, die Reconstruction und den KKK nicht aus eigenen Erfahrungen. Rhett Butler ist natürlich eine fiktive Persönlichkeit. Er und seine Geschäftspraktiken u. a. als Blockadebrecher sind aber doch recht authentisch und realistisch beschrieben.
Ähnliches gilt natürlich auch für Harriet Beecher Stowes Roman Uncle Tom´s Cabin. Die Handlung, die Charaktere sind allesamt fiktiv. Der Roman erschien 1851, und die Autorin hatte für den Roman sehr akribisch recherchiert. Beecher Stowe veröffentlichte nachdem ihr Roman eine wahre Flut von Parodien und Anti-Uncle Tom-Romane zur Folge hatte, ein Werk "A key to Uncle Tom, in dem sie sich zu Vorlagen und realen Vorbildern äußerte.
Der Roman ist ein fiktives Werk, Praktiken des Sklavenhandels, Preise von Sklaven, Lebensumstände, Praktiken von Sklavenfängern, Stationen der Underground Railroad werden sehr ausführlich und auch durchaus sehr authentisch und realistisch beschrieben. Wenn auch fiktiv, bildet der Roman doch zu einem guten Teil wenn nicht die historische Realität, so doch die historische Wirklichkeit in den USA im Jahre 1851 ab. Ein literarisches Werk kann so natürlich auch als historische Quelle dienen.
Auch nicht fiktiven historischen Quellen wird ein Historiker bei weitem nicht alles glauben.
Vom Winde verweht erschien Jahre nach dem Bürgerkrieg, und das Buch übernimmt die Sichtweise der alten Eliten im Bezug auf die Sklaverei, die Schwarzen, die Reconstruction. Es ist aus heutiger Sicht zweifellos rassistisch und problematisch. Rhett Butler erschießt einen Schwarzen, weil der eine Lady (sexuell) belästigt hat. Er ist eifersüchtig und vergewaltigt Scarlett, die es insgeheim genießt. Ich mag den Roman trotzdem, und mentalitätsgeschichtlich kann natürlich auch Vom Winde verweht als Kulturdokument dienen. Das Lebensgefühl der Kriegsgeneration ist doch recht authentisch beschrieben. Das mag auch ein Grund sein, weshalb der Roman nach der Bibel das meistverkaufte Buch in den USA ist. Natürlich ist eine Figur wie Ashley Wilkes fiktiv. Nicht fiktiv ist aber das Lebensgefühl vieler Südstaatler, dass ihre Welt und das soziale Gefüge in dem sie eine bestimmte Rolle spielten untergegangen ist. "Vom Winde verweht" erzeugt starke Bilder.
Literarische Texte können natürlich auch historische Quelle sein. In einem sehr alten Thread schrieb ein nicht mehr aktiver Forianer, fingalo, in ganz anderem Zusammenhang, dass 5000 gefundene Exemplare von Hänsel und Gretel nicht die Existenz von Lebkuchenhäusern beweisen würden, dagegen schon, dass es zur Abfassungszeit schon Lebkuchen gab. Wenn Theodor Fontane in Effi Briest von einem "Mirambo" spricht, so ist das ein Indiz dafür, dass Fontane Henry M. Stanleys "Wie ich Livingstone fand" und "Durch den Dunklen Erdteil gelesen hat, bevor er Effi Briest schrieb.
In einem anderen Thread habe ich mal darauf verwiesen, dass es Yankees gab, die Plantagen im Süden besaßen oder über Strohmänner daran beteiligt waren. Als Beleg habe ich damals die Figur des Simon Legree in Beecher-Stowes Roman angeführt. Simon Legree ist natürlich eine fiktive Figur. In einer wissenschaftlichen Arbeit würde ich reale Figuren erwähnen, um die These wirklich empirisch felsenfest zu belegen.
Ein zeitgenössischer Roman, im Jahre 1851 erschienen, ist sehr wohl eine Quelle für die These, dass es in den USA 1851 Yankees gab, die im Süden lebten und Plantagen betrieben oder über Strohmänner daran beteiligt waren
Grundsätzlich kann alles eine historische Quelle sein. Wenn ich mich mit dem amerikanischen Walfang im 19. Jahrhundert beschäftige, ist Moby Dick eine unschätzbare Quelle, auch wenn Kapitän Ahab, Starbuck, Quiqueg fiktiv sind. Natürlich sind sie fiktiv, aber sie sind authentisch. Als Beleg, dass es um 1851 in New Bedford und Nantucket Harpuniere aus Polynesien gab und Wampanoag-Indianer und Afrikaner, dafür kann Moby Dick schon dienen.
Der Roman erschien 1851, im gleichen Jahr wie Uncle Toms Cabin,herman Melville erlebte den Erfolg seines Romans nicht mehr.