Nach allem, was ich so gelesen habe, ging jeder wichtigen Entscheidung im Reichstag eine endlos lange Debatte voraus. Wirklich wichtige Entscheidungen, etwa über die Annahme von Abkommen oder Verträgen, kamen meist nur auf "Druck" zustande. Weil man sonst nur schlechter da gestanden hätte!
Und gibt es für dieses "meist" auch irgendeinen Beleg?
Natürlich gab es da diverse Entscheidungen, die sich lange hinzogen und nur unter Druck zustande kamen.
Welche Regierung würde etwa freiwillig die Abtretung Ost-Oberschlesiens oder die Annexion Memels durch Litauen, die Ruhrbesetzung etc. etc. freiwillig durchgewinkt haben?
Dazu kommt, wie am Beispiel Frankreich aufgezeigt, dass auch im Ausland Regierungen mitunter sehr instabil waren, was denn auch dazu führen konnte, dass der Verhandlungspartner seine Positionen urplötzlich änderte.
Das waren in Teilen Fragen, bei denen es ganz natürlich keine schnellen Lösungen geben könnte, einfach weil es fundamentale Grundsatzdiskussionen waren.
Das ist doch heute nicht anders, wenn die Fragen tiefgreifend genug sind.
Und wäre unsere heutige Politik mit der damaligen Problemlage konfrontiert, sie würde sich auch massiv schwer tun und bestimmte Entscheidungen nur unter imensem Druck (z.B. militärischer Pression) treffen.
Ein weiteres Problem waren ja die Volksabstimmungen über manche Dinge. Wie den Dawesplan oder die Fürstenenteignung. Das ist ja heute ein Grund, warum man Volksbefragungen in der BRD heute so gut wie nicht macht. Eben aufgrund dieser Erfahrungen.
Es gab in der Weimarer Republik auf reichsebene genau 2 Volksabstimmungen über die Fürstenenteignung und über den Young-Plan.
Die Möglichkeit eine Volksabstimmung zu inszenieren konnte natürlich von politisch extremer Seite bemüht werden um sich in populistischer Weise als Fürsprecher des Volkes zu gerieren und es brachte für alle Parteien die Schwierigkeit mit sich, dass dadurch mitunter Konkurrenz zwischen der Klientelgebundenheit und bestehenden politischen Koalitionen entstand.
Für die SPD etwa war die Abstimmung über die Fürstenenteignung insofern ein Problem, als dass ein großer Teil ihrer Wählerklientel diese Enteignung beführwortete, dies aber auch bedeutete zusammen mit der Anhängerschaft der KPD gegen die eigentlichen potentiellen politischen Partner aus der bürgerlichen Mitte auf Reichsebene agieren zu müssen.
Aber auch das führte nicht in eine Systemkrise.
Und wennn ich das, auch wenn aktualistisch, anmerken darf, es gab vor nicht allzu langer Zeit in einem gewissen Freistaat Landtags- und Ministerpräsidentenwahlen, bei denen 2 bürgerliche Parteien ganz in die selbe Falle getappt sind, in diesem Fall indem sie einen von ihrer Basis nicht gewünschten Kandidaten in keinem Fall zum Ministerpräsidenten nämlichen Freistaats machen wollten, was dann dazu führte, dass sie sich schneller als sie schauen konnten, in einem Bündnis mit einer anderen Partei wiederfanden, mit der sie so überhaupt nicht zusammenarbeiten wollten.
Die Gefahr, dass eingespielte politische Allianzen an so etwas zerbrechen und dadurch das politische System in Fluss gerät und schwierig auszutarieren ist, ist offensichtlich durch Abschaffung von Volksabstimmungen auf Bundesebene nicht gebannnt worden.
Wenn das heute kein zuverlässiges Mittel ist um bestimmte Probleme zu bearbeiten, warum hätte es damals eines sein sollen?
Während dieser Debatten ging es alles andere als zivilisiert zu. Beleidigungen waren faktisch an der Tagesordnung. Und starke Zersplitterung machte fast unmöglich eine handlungsfähige Regierung zu bekommen. Natürlich war das nicht der einzige Fehler im System
Das faktisch keine Handlungsfähigen Regierungen zustande gekommen wären, ist ein absoluter Humbug. Diese nicht handlungsfähigen Regierungen haben diverse Grenzanerkennungen, die verdeckte Rüstung in Kooperation mit der werdenden Sowjetunion, eine tiefgreifende Währungsreform, verbunden mit starken Eingriffen (z.B.
Goldverbot – Wikipedia ) auf die Reihe bekommen.
Das sind mitunter Eingriffe gewesen, die in ihrer Reichweite über das, was unsere heutigen Regierungen so leisten weit hinaus gehen.
Es war nur lediglich die politische Kultur eine andere. Durch die Zersplitterung des Parteienspektrums waren die Regierungskoalitionen weit stärker an einzelne Projekte gebunden als heute und verloren ihre Basis, wenn dieses Projekt umgesetzt oder faktisch verunmöglicht war.
Auch das ist kein entscheidender Systemfehler und lässt sich wie aufgezeigt in europäischen Ausland noch heute erleben.
Nach
Meine Frage zielte auch darauf ab, ob es irgendwann mal einen Moment gegeben hat, in welchem man die Verfassung so geändert hätte, dass tatsächlich langfristige stabile Mehrheiten möglich gewesen wären? Es gab zwar die Weimarer Koalition, aber auch die konnte nicht alles richten!
Die SPD hatte sich als es um die Verabschiedung der Verfassung ging, aus nicht ganz uneeigennützigen Gründen für das Mehrheitswahlrecht ausgesprochen. Damit konnte sie sich nicht durchsetzen.
Wenn man dass hätte durchsetzen können, wären Regierungen natürlich stabiler gewesen. Dann hätte allerdings auch etwa das Wahlergebnis von 1932 den Nazis direkt eine 2/3 mehrheit beschehrt.
Ist also auch eine sehr zweischneidige Sache.
Warum hätte man sich für solche Verfassungsänderungen einsetzen sollen? Das setzt ja erstmal voraus, dass die Klientelgebundeheit und die Möglichkeit eine Regierung auch schnell wieder los zu werden und sich aus dem gewählten Reichstag aus den vorhandenen Mehrheiten eine andere zusammen zu basteln als Defizit empfunden worden wäre.
Warum aber hätte das der Fall sein sollen? Im europäischen Ausland war so etwas häufiger anzutreffen, zudem darf man nicht vergessen, dass die Leute in der damaligen Gesellschaft eben aus dem Kaiserreich kamen.
Da hatten sie Stabilität, nur sah die eben so aus, dass man seine Regieerung von oben verordnet und diese auch nicht loswerden konnte, wenn sie der eigenen Meinung nach Mist baute. Und dann kommt da noch der Umstand des Weltkrieges dazu, den substanzielle Teile der Bevölkerung in dieser Form nicht gewollt hatten.
Vor diesem Hintergrund wird bei nicht wenigen der Wunsch eine Regierung effektiv unter Kontrolle halten und nötigenfalls stürzen lassen zu können, zunächst mal den Wunsch nach Stabilität überwogen haben.