Spätantikes Christentum östlich des Römischen Reichs

... wobei man sich nicht vom späteren römischen Papsttum ins perspektivische Bockshorn jagen lassen darf (was @andreassolar ganz sicher nicht tut!), denn die Römische Reichskirche Römische Reichskirche – Wikipedia der Spätantike stand nicht unter dem Primat des römischen Bischofs (auch wenn diese das gerne gesehen hätten und in Richtung "Chef der Kirche" politisierten)
Ist dem wirklich so? Leo I., genannt der Große, nahm den Titel Pontifex Maximus an und wurde schon zu seinen Lebzeiten von anderen als Papst und als oberster Priester bezeichnet – siehe auch
Leo der Große – Wikipedia
 
hab ich gerade reingesehen:
Auf dem Konzil von Chalkedon wurde Rom nur ein gewisser Vorrang vor den anderen großen Bischofssitzen im Osten (Alexandria, Antiochia und Konstantinopel) eingeräumt. Wichtiger war freilich der theologische Beitrag Leos durch sein großes Lehrschreiben, den sogenannten Tomus (ep. 28)
...hm... und was genau ist deiner Ansicht nach nun in Spätantikes Christentum östlich des Römischen Reichs sachlich inkorrekt? Ich verstehe deinen Einwand nicht.
 
Habe ich bereits zitiert: Du hast gesagt, dass die römische Reichskirche der Spätantike nicht unter dem Primat des römischen Bischofs stand. Dein Zitat aus Wikipedia aber belegt genau das: Römischer Bischof hatte Vorrang vor Bischöfen anderer "großen Bischofssitzen im Osten (Alexandria, Antiochia und Konstantinopel)". Und weil es andere große Bischofssitze im 5. Jahrhundert nicht gab, folgt daraus: Diese Vorrang Roms galt für die (damalige) ganze Kirche.

Allerdings muss man auch sagen, dass der Patriarch von Konstantinopel auch diesen Vorrang beanspruchte und von Konzil in Chalkedon auch zugesprochen bekam – als Leos Legaten gerade nicht anwesend waren. :D

Seit dieser Zeit haben wir bis heute 2 Bischofssitze, die den Führungsanspruch für sich beanspruchen.
 
Und weil es andere große Bischofssitze im 5. Jahrhundert nicht gab, folgt daraus: Diese Vorrang Roms galt für die (damalige) ganze Kirche.
...ach, in der Spätantike ging es drunter und drüber... z.B. dieser Papst Vigilius – Wikipedia machte die Erfahrung, dass ihm jemand in Byzanz nachhaltig Vorschriften machte ;) und der von dir erwähnte Vorrang Roms spielte da exakt gar keine Rolle - nebenbei zeigten derartige Streitigkeiten und Machtrangeleien den nicht mit der Perspektive der römischen Bischöfe einverstandenen u.a. östlichen Kirchenoberen, dass man keineswegs gezwungen war, vor einem "Bischof von Rom" devot zu katzbuckeln.
...aber ok, die meisten römischen Päpste wie auch byzantinischen Patriarchen hatten keinen Justinian I als "Chef" ;)
 
...ach, in der Spätantike ging es drunter und drüber...
Ja – und wenn man bedenkt, wie hartnäckig und zu keinem Kompromiss bereit sich Rom und Konstantinopel seit mehr als 1500 Jahren beharken, dann sind in dieser Sache alle Quellen als verseucht zu bezeichnen. Was zur Folge hat, dass die eigene Position im Wesentlichen davon abhängt, welche Quellen es bis heute überlebt haben und welche man überhaupt zu Rate ziehen kann. Und selbst wenn man alle Quellen hätte und auswerten könnte, würde man dann trotzdem vor der Frage stehen, welcher Quelle man mehr Glauben schenkte, und welcher weniger. Und da kommt wieder die Sozialisation und Ideologie ins Spiel, sprich wo wann und von welchen Lehrern wurde jemand ausgebildet. Etc.
 
Habe ich bereits zitiert: Du hast gesagt, dass die römische Reichskirche der Spätantike nicht unter dem Primat des römischen Bischofs stand. Dein Zitat aus Wikipedia aber belegt genau das: Römischer Bischof hatte Vorrang vor Bischöfen anderer "großen Bischofssitzen im Osten (Alexandria, Antiochia und Konstantinopel)". Und weil es andere große Bischofssitze im 5. Jahrhundert nicht gab, folgt daraus: Diese Vorrang Roms galt für die (damalige) ganze Kirche.

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit im RR zu Zeiten Leo's bestand ein Unterschied. Tante Wiki schreib ansonsten lediglich vom 'Primatanspruch', nicht von Primatstellung....und lesen kannst Du doch, meine ich. Den Primatanspruch konnte das Papsttum weder flächendeckend, noch dauerhaft, noch unumschränkt im papströmischen Sinne im RR durchsetzen, schon gar nicht im griechischsprachigen Ostteil des RR.

Der Fadentitel wie auch der Faden sind dem Christentum östlich/südlich des RR gewidmet. Bitte keine 'TanteWiki-Diskussionen' oder - wieder mal - Aufarbeitungen der eigenen Sozialisation.
 
Leider kann ich hier nicht diskutieren, sondern nur Fragen stellen, die mich interessieren. Beispielsweise ob sich in diesen Kirchen ungefähr derselbe Kanon an Heiligen Schriften durchgesetzt hat wie im Reich, und ob diese Schriften ähnlich wie im Westen bald nur noch in ihren Übersetzungen in der Volkssprache rezipiert wurden oder eher in Griechisch nur den Sprachkundigen zugänglich waren (wie das ja wohl überwiegend im Islam der Fall ist).
 
Roland Werner, notiert in Anmerkung 28, S. 53 von 'Das Christentum in Nubien: Geschichte und Gestalt einer afrikanischen Kirche' (2013), u.a., dass Prokop in Geheimgeschichte schrieb, die konkurrierenden Missionsgesandtschaften von Justinian I. und Theodora nach Nubien seien als zusammen abgesprochene Aktion geplant worden, um beide Seiten, sowohl die Miaphysiten wie die Anhänger des chalcedonischen Bekenntnis zufrieden zu stellen.
Schon recht, aber Geheimgeschichte... Verschwörungstheorie? Und dann noch zum Nachteil für Justinian? Andererseits weiß ich nichts von einem Ehekrach nach Theodoras "Sieg", daher könnte der durchtriebene Kaiser vielleicht doch so etwas geplant haben, auch wenn es zunächst einmal so aussah, als liefe es schlecht für ihn. Ist aber Spekulation.

Darüber hinaus, was den christologischen Streit betrifft:

Es ist schon auffällig, dass in den vielfältigen Anti-Häretiker-Gesetzen Justinians die Monophysiten meist gut wegkommen, u.a. die Edikte Cod. Just. 1.1.5 und 1.1.6. Hier wird nur neben dem Nestorianismus die Lehre des Eutyches als radikale Form des Miaphysitismus aufgeführt, dazu die Lehre des Apollinaris von Laodica, eine ebenfalls radikale Form des Mph. Die übrigen Varianten des Mph tauchen nicht auf.

Die Mission von Johannes v. Epehesus hatte ich schon angesprochen, aber unabhängig von Theodoras Einfluss mag der Kaiser wohl gespürt haben, dass die religiöse Einheit des Reichs ohne irgendeine Anerkennung des Monophysitismus (oder Miaphysistismus, vermutlich identisch) nicht möglich war. Dafür war der Einfluss offenbar schon zu stark und hatte schon bei Zenon und Anastasius Wurzeln geschlagen. Deshalb wurde auch der monophys. Wortführer, Bischof Severus, an den kaiserlichen Hof geladen, allerdings ohne wirkliches Ergebnis, denn Severus war Skeptiker und wollte nicht vereinnahmt werden. Außerdem erhielt der miaphysitistische Stylit Maron von Justinian ein Staatsbegräbnis. Nun ja, Maron war tot, der konnte nicht mehr widersprechen, so konnte man hier "ein Zeichen setzen".

Dagegen gibt es tatsächlich eine Verfolgung von Miaphysiten unter Justinian, vor allem im Osten. Schon Onkel Justin hatte eine solche veranlasst. Trotzdem ist es bemerkenswert, dass ab 529 (Justin war gerade gestorben und sein Neffe Alleinherrscher) alle Verfolgten wieder ins Reich zurückgeholt und ihnen Gespräche angeboten wurden, fast so wie bei Annalena heutzutage. Auch hatte Justinian damals die theopaschitische Formel propagiert (das bei wiki nachlesen: Theopaschitismus – Wikipedia ), ebenfalls ein Angebot an die Monophysiten. Was genau die 2. Welle unter dem Großinquisitor Ephraim von Antiochia verursacht hat, weiß ich leider nicht. Viel ist m.W. darüber nicht bekannt.

Gegen Ende seines Lebens hat sich Justinian höchstdaselbst einer Variante des Mph hingegeben, dem Aphthartodoketismus, die ich zur Erleichterung der Mitlesenden hier nicht vertiefen möchte, weil ich sie selbst kaum verstehe. Ich verweise lieber auf den wiki-Artikel:
Aphthartodoketismus – Wikipedia . Es gibt Hinweise darauf, dass man kirchlicherseits den Kaiser selbst der Häresie anklagen wollte - da hat ihn der Herr rechtzeitig zu sich berufen.

Ergebnis: Justinians Einstellung zum Miaphysitismus schwankte. Mal Zuckerbrot, mal Peitsche, vielleicht wirklich eine Art Arbeitsteilung mit Theodora - aber im Zentrum immer der kaiserliche Machtwille.
 
Den Primatanspruch konnte das Papsttum weder flächendeckend, noch dauerhaft, noch unumschränkt im papströmischen Sinne im RR durchsetzen, schon gar nicht im griechischsprachigen Ostteil des RR.

Immerhin hat Justin das akakische Schisma 519 durch Löschung des Namens des einstigen Patriarchen beendet und sich damit dem Papst untergeordnet, zwar nicht mehr Leo, aber Hormisdas. Die Durchführung dieser Aktion war Justinians erste religionspolitische Tat.

Allerdings gab es immer noch den Kanon 28 in der Akte zu Chalcedon, der dem Patriarchen von Konstantinopel beinahe die Bedeutung des Bischofs von Rom zuordnete. Leo hat sich dagegen scharf gewehrt.

Aber auch hier kommt wieder Justinian ins Spiel, der große Macher in Sachen Religionspolitik. Er sprach sich ganz klar für den Primat Roms als Papstsitz aus, das ist eine längere Geschichte, die in Cod. Just. 1.1.8 (Juni 533) niedergelegt ist. Ich versuche sie kurz zu erläutern.

In diesem Edikt stehen Briefausschnitte von Papst Johannes II, die eindeutig den Primat Roms fordern (1. Absatz). Nebenbei wird auch die Rolle des Kaisers angesprochen, als derjenige, der "mit dem Papst zusammen die heiligen Gebete spricht und für die Einheit und Reinheit des Glaubens eintritt" (3. Absatz). Johannes mahnt zudem die Einhaltung der Orthodoxie an. Im Gegenzug akzeptiert er die theopaschitische Formel (die hatte ich oben schonmal angesprochen), die nicht ganz 100% der Orthodoxie entsprach. Do ut des...

Es handelt sich bei dieser Konstitution also um einen regelrechten Schriftwechsel zwischen den beiden. In den nächsten Absätzen antwortet der Kaiser. Die östlichen Bistümer werden unter die Hoheit des apostolischen Stuhls in Rom gestellt (Absatz 9), außerdem werden noch einmal die Häretiker verdammt, wie schon in den Edikten 1.1.5 - 1.1.7 geschehen, zur Erinnerung sozusagen.

In den allerletzten Absätzen antwortet wieder der Papst und freut sich über den “gehorsamen Sohn Justinian”. Da konnten beide Seiten zufrieden sein.

Bevor hier wieder eine Kritik kommt: die Hoheit über die östlichen Bistümer wurde nach der Besetzung Roms durch Byzanz wieder zurückgenommen. Da war aber Johannes II schon längst tot. Heißt dann auch: sehr langfristig war die Einigung zwischen J und J tatsächlich nicht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber auch hier kommt wieder Justinian ins Spiel, der große Macher in Sachen Religionspolitik. Er sprach sich ganz klar für den Primat Roms als Papstsitz aus, das ist eine längere Geschichte, die in Cod. Just. 1.1.8 (Juni 533) niedergelegt ist. Ich versuche sie kurz zu erläutern.

In diesem Edikt stehen Briefausschnitte von Papst Johannes II, die eindeutig den Primat Roms fordern (1. Absatz). Nebenbei wird auch die Rolle des Kaisers angesprochen, als derjenige, der "mit dem Papst zusammen die heiligen Gebete spricht und für die Einheit und Reinheit des Glaubens eintritt" (3. Absatz). Johannes mahnt zudem die Einhaltung der Orthodoxie an. Im Gegenzug akzeptiert er die theopaschitische Formel (die hatte ich oben schonmal angesprochen), die nicht ganz 100% der Orthodoxie entsprach. Do ut des...
wie das Beispiel Vigilius – Wikipedia zeigt, musste der Bischof von Rom allerdings kooperativ in Richtung Iustinian I sein, salopp gesagt sich nach diesem Kaiser richten.
 
wie das Beispiel Vigilius – Wikipedia zeigt, musste der Bischof von Rom allerdings kooperativ in Richtung Iustinian I sein, salopp gesagt sich nach diesem Kaiser richten.
Da gebe ich dir schon Recht. Langfristig gab es hier kein Gleichgewicht, und wenn Einigung, dann kurzfristig. Sagte ich auch in meinem Beitrag oben ganz am Ende. Was ich darin ausdrücken wollte: die Geschichte des Primats schwankt hin und her; mit Sicherheit eine Frage der Macht.
 
Schöne Beiträge....Justinian I. hat ganz sicher zeitweise zwei gleichrangige religionspolitische Ziele oder Motive gekannt:

- die religiöse Reichseinheit, was angesichts der großen und umfassenden christologischen Unterschiede zwangläufig zu einer scheinbar oder tatsächlich wankenden oder eben unter der Hand defacto auch zeitweiligen zweigleisigen Religionspolitik führte - mit Theodora, die schließlich dem Milieu der mächtigen Circusparteien in Konstantinopel entstammte und weiterhin offenbar so intelligent wie willensstark gewesen war.

- die eigene christologische Agenda, wobei sie wohl nicht, wie bei so etlichen weiteren römischen Kaisern, so differenziert dogmatisch nur auf eine Position zu reduzieren ist.

Justinian I. galt zeitweilig bei 'orthodoxen' Strömungen als der Häresie verdächtig, wie schon oben bemerkt.

Primatstellung Roms:

Es handelt sich bei dieser Konstitution also um einen regelrechten Schriftwechsel zwischen den beiden. In den nächsten Absätzen antwortet der Kaiser. Die östlichen Bistümer werden unter die Hoheit des apostolischen Stuhls in Rom gestellt (Absatz 9), außerdem werden noch einmal die Häretiker verdammt, wie schon in den Edikten 1.1.5 - 1.1.7 geschehen, zur Erinnerung sozusagen.

In den allerletzten Absätzen antwortet wieder der Papst und freut sich über den “gehorsamen Sohn Justinian”. Da konnten beide Seiten zufrieden sein.

Bevor hier wieder eine Kritik kommt: die Hoheit über die östlichen Bistümer wurde nach der Besetzung Roms durch Byzanz wieder zurückgenommen. Da war aber Johannes II schon längst tot. Heißt dann auch: sehr langfristig war die Einigung zwischen J und J tatsächlich nicht.

Der griechische Osten mit Antiochia und Alexandria als Zentren unterstellten sich zu keinem Zeitpunkt freiwillig dauerhaft und umfassend der angemaßten Primatstellung Roms, auch nicht durch die abstrakte Vereinbarung von Justinian und Johannes II. Theologisch konnte die vereinbarte Primatstellung daher auch nicht den Miaphysitismus nachhaltig in Alexandria und Antiochia und dem Osten marginalisieren.
 
Justinian war es auch, welcher Papst Vigilius 544 gewaltsam nach Konstantinopel hatte entführen lassen, um diesen zur Zustimmung e. Verurteilung dreier Autoritäten des Konzils von Chalcedon durch Kaiser Justinian zu zwingen, welcher mit dieser Verurteilung ein klares Signal für ein Gesprächsangebot an die Seite der miaphysitischen Richtung geben wollte.

Zu jener Zeit galt die von Justinian auch rechtlich fixierte Pentarchie der kollegialen Leitung d. röm. Reichskirche durch die Verbindung der tradierten Vorrang-Bischöfe von Rom, Alexandria & Antiochia sowie derer von Jerusalem & Konstantinopel.
Q: Gemeinhardt, Geschichte des Christentums in der Spätantike (2022), S. 467 + 477 f.
 
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