Ein hochinteressantes Thema, Rovere.
M. E. kommen hier mehrere Interessen zusammen:
1. die Bemühung, interessantere Innenstädte zu bekommen – zwischen 1945 und heute wurden die städtebaulichen Maßnahmen vieler Großstädte in Deutschland davon geprägt, als Einkaufszentren zu funktionieren. Damit wurde ein Trend fortgesetzt, der bereits seit der Jahrhundertwende und vorher das Großkaufhaus als bürgerliche Errungenschaft zelebrierte. Die mir bekannte Ablehnung dieser Strukturen beginnt mit dem Protest gegen den Neubau des "kARSCHtadt" am Ludwigsplatz in Darmstadt, Anfangs der 80er Jahre.
Die historischen Rekonstruktionen in städtebaulich dominanter Position sind ein schwächlicher Gegenentwurf gegen die Einkaufsstraßen der Innenstädte; meistens nichts als eine Verbrämung eines historischen Platzes (der den Krieg überstand) mit einer historischen Fassade. Im Falle Braunschweigs wurde sich hier selber ein Bein gestellt, aber was solls.
2. die Bemühung, durch Entmodernisierung glücklichere vormoderne Zeiten heraufzubeschwören. Ein bemerkenswerter Stumpfsinn bricht hier durchs dünne Eis der vernunftgemäßen Argumentation; zum einen sind die meisten der rekonstruierten Schlösser bereits "modern" (nämlich historisierende Zweckbauten des 19. Jahrhunderts), zum anderen ist es mit der Vormoderne wie mit der verlorenen Jungfernschaft: da kann man noch so lange leugnen und beten, sie kommt nicht mehr wieder. Das Hätscheln und Wiederherrichten postnapoleonischer Herrschaftssymbole versucht obendrein, einen zu Gummibändern zerschnittenen Fahrradschlauch zu flicken: aus den Resten eines obsoleten Adels, einer destruktiv-suprematistischen Ideologie und eines korrupten Bündnissystems lässt sich keine kulturelle Kontinuität herbeizaubern (oder, wenn es tatsächlich das Ziel wäre, würde es sich für Terrororganisationen rentieren, dieses Ziel zu bekämpfen).
3. die Bemühung, städtebauliches Gleichgewicht zu finden – die Baukrise nach dem 2. Weltkrieg füllte Deutschland mit einem Baustil, der in seiner Zeit keine solche Vollendung erreicht hatte, dass er das schiere Volumen des Baubedarfs decken konnte – vielerorts wurde auch die architektonische Moderne falsch verstanden, die Lust am Neu-Schaffen ganzer Städte ging auf Kosten der ohnehin schon zerstörten. Der Wiederaufbau von Stadtschlössern ist z. T. auch ein Gegensteuern gegen die krasse Brutalität, mit der z. B. in Dresden und Berlin ganze Stadtviertel platt gemacht wurden. Nun bringt ein "Humboldtforum" getauftes Schloss nicht die Stadtviertel der Karl-Marx-Allee wieder, noch gleicht ein Dresdner Schloss die Prager Straße aus. Aber der Wiederaufbau versucht, durch solche Kernakzente den eigentlichen Verlust – die historisch gewachsenen Altstädte – durch einen "historischen" Baukörper auszutarieren; die Stadt bleibt "modern", wird aber auch wieder "historisch". Tragischerweise beide Male nur in Gänsefüßchen, aber in einer ironischen Kultur nimmt man die schon gar nicht mehr richtig wahr, also, wen kümmerts? (Nb. In Frankfurt, das nie ein Schloß hatte, wird am Römerberg genau diese Innenstadt wiederaufgebaut, als Entschuldigung für die Zerstörungen nach dem Krieg – und eingehend auf das touristische Bedürfnis nach Altstadt in einer modernen Geldmetropole)
Glücklicherweise haben historisierende Baustile ein schlummerndes Talent: sie sind niedlich anzusehen, und wenn man die Bauwerke lange genug stehen lässt, sehen sie wirklich alt aus. Eine halbwegs sorgsam rekonstruierte Stadtschloßfassade sieht nach 30, 40 Jahren so "original" aus wie die Teilrekonstruktion des Xantener Hafentempels diesen in das bessere Erlebnis eines Tempels verwandelt als z. B. der Kapitolstempel in Pompeji. Moderne Bauwerke haben ein Problem mit Alterungserscheinungen – die Stile haben sich zu schnell zu entschieden gewandelt, als dass man stilistische Konstanten formulieren könnte; am ehesten lässt sich sowas noch bei Wolkenkratzern feststellen. Die "passen" aber auch nicht überall hin, und zum Glück hat die Wirtschaft nicht mehr genug Geld, um sie trotzdem überall hin zu stellen. Statt dessen: Schlösser. Nunja. Solange nicht auch noch Fürsten reingesetzt werden, soll es mir egal sein.
Nb. Hierzu könnte man endlos schreiben. Das hier ist nur das, was bei mir auf einer Durhschnittsbahnfahrt zw. Köln und Frankfurt hochspülte.