Dieter
Premiummitglied
Ich halte nichts von der Nordwestblock-Theorie, da ich die rein auf Namensinterpretationen beruhenden Schlüsse für viel zu weitgehend halte. In gewisser Weise sympathisch ist mir die Theorie, aus rein subjektiven und irrationalen Gründen, da ich in dem "Blockbereich" lebe und irgendwie eine Aversion gegen die Germanen habe. Ich glaube daher natürlich, ich bin ein direkter Nachfahre der Ureuropäer mit keltischen Einsprengseln. :schlau:
Nehmen wir einmal als Stichpunkt das 4. Jh. v. Chr. Zu diesem Zeitpunkt waren die Germanen nur in Teilen Norddeutschlands verbreitet (Jastorfkultur), die Kelten hatten sich bis etwa zu den Mittelgebirgen vorgeschoben. Da erhebt sich doch die Frage, welche Völker andere Teile des nordwestlichen Mitteleuropas bewohnten? Die Gebiete waren schließlich nicht siedlungsleer und die Germanen hatten sich zu diesem Zeitpunkt längst nicht flächendeckend ausgebreitet.
Wie wir wissen, hat sich die germanische Jastorfkultur aus einem indoeuropäischen Kontinuum entwickelt, das sich ethnisch nicht näher bestimmen lässt. Bei der Ausbreitung der Kelten und Germanen wurden diese indoeuropäisch sprechenden Bevölkerungsgruppen allmählich aufgesogen, bis sie schließlich verchwanden. Diese Völker zwischen Kelten und Germanen wurden lt. Kuhn etwa zur Zeitenwende germanisiert und verschwanden von der Bildfläche.
Für mich ist das ein ganz plausibles Szenario auch wenn die Sprachwissenschaftler Wolfgang Meid und Jürgen Udolph das vehement ablehnen (vgl Nordwestblock ? Wikipedia ).
Die neuen Funde (na ja, neu, so ab 2005) in der nördlichen Mittelgebirgszone deuten auf eine nahtlos übergehende Besiedlung von 400 bis in die Kaiserzeit hin, irgendwelche Anzeichen für eine zunehmende Germanisierung alter Bevölkerungsschichten gibt es nicht. Ich gehe daher von einer germanischen oder meinetwegen proto-germanischen Besiedlung ab Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. aus. Archäologie kann bei der vorhandenen Fundlage natürlich zu den ethnischen oder sprachlichen Hintergründen der dort lebenden Bevölkerung nichts sagen. Daß sich in der Jastorfkultur Stilelemente aus der Latenekultur finden, ist bei der relativen räumlichen Nähe von Jastorf zum Oppida-Kreis und der "weniger plumpen" "keltischen" Latenekultur nicht so überraschend.
Im 6. Jh. v. Chr. bzw. am Ende der Hallstattzeit standen sich in Mitteleuropa zwei große, kulturell unterschiedliche Bereiche gegenüber: der der wirtschaftlich und sozial hochentwickelten Hallstattkultur im süddeutsch-österreichischen Alpenraum bis hin an den Rand des Thüringer Waldes, der später von den Trägern der Latène-Kultur, den Kelten, eingenommen wurde; und der nördlich daran anschließendend bis zur Nord- und Ostsee verbreitete und stark von den Kelten beeinflusste aber wirtschaftlich nicht so weit fortgeschrittene Bereich, in dem sich die Jastorfkultur herausgebildet hatte, deren Träger sicher die Germanen waren und die bis in das letzte Jahrhundert v. Chr. hinein unmittelbare Nachbarn der Kelten blieben.
Die Siedlungsgebiete im Norden standen unter dem Einfluss der Hallstatt- und später der Latènekultur. Vermittelt wurde nachweislich Kulturgut des persönlichen Bedarfs wie Nadeln und Fibeln. Das ästhetische Empfinden der Bevölkerung im Jastorfkulturbereich und darüber hinaus wurde dadurch maßgeblich mitbestimmt. Auch am Niederrhein findet man in der so genannten Grabhügelkultur Hallstattelemente. Über diesen Raum hinaus wurde das Gebiet westlich der Ems und das bis zur Weser und Aller beeinflusst.
Aus welcher ethnischen Basis die Jastorfkultur (bzw. die Germanen) hervorgingen, wie die Verteilung indoeuropäischer Sprachen in der ersten Hälfte des 1. Jahrtausends im Norden aussah, wissen wir nicht. Früher wurden gern Gedankenspiele angestellt, in denen die Illyrer und Veneter stets eine große Rolle spielten, doch ist das heute kein Thema mehr.
Zur Problematik, was die keltische Besiedlung von Westmittel- und Süddeutschland so gestört hat, halte ich die These für plausibel, daß dies mit den Erschütterungen in Folge des Kimbern-, Teutonen- und Ambronenzuges zusammen hing, der einen germanischen Drang in den Süden erleichterte. Die Fluchtburgen am Mittelgebirgsrand in Niedersachsen werden im 1. Jhd. vor Chr. aufgegeben, scheinbar bestand kein Bedarf mehr nach einem Schutz vor Überfällen aus dem Latenekulturkreis weiter südlich.
Dass Süddeutschland bei Ankunft der Römer nur noch dünn besiedelt war, ist sicher nicht von der Hand zu weisen und wird auch von den Archäologen bestätigt. Was dafür verantwortlich sein könnte, versucht ein Aufsatz im Katalog zur Landesausstellung Baden-Württemberg mit dem Titel "Imperium Romanum. Roms Provinzen an Neckar, Rhein und Donau" zu beantworten.
Dort steht unter anderem:
Das Zusammenwirken äußerer Einflüsse, wie z.B. der Abzug der Helveter, Caesars Feldzüge oder das Vordringen germanischer Bevölkerungsgruppen, dürfte in erster Linie dafür verantwortlich sein, dass die spätkeltische Oppidakultur zugrunde ging und die Bevölkerung zerstreut wurde ... Dass diese Bevölkerungsreste im Zuge der römischen Okkupation relativ schnell akkulturiert wurden, kann man bislang ebenfalls nur vermuten.
(Imperium Romanum. Roms Provinzen an Neckar, Rhein und Donau, Esslingen 2005, S. 70)