Hier ist meine Deutung anders: Zwanzig Jahre intensive Diskussion des Begriffs haben in der spanischen (und portugiesischen) Ortsnamensforschung zu erheblichem Erkenntnisgewinn geführt.
[...]
Mit der Pauschalklassifikation "Iberisch=Trümmersprache", "wissen doch gar nicht, ob es sich um eine Grundwurzel handelt" etc. wird die Leistung und der Erkenntnisfortschritt der spanischen Onomastik ignoriert.
Du verwechselst Erkenntnisgewinn/-fortschritt mit experimentellen Hypothesen. Noch einmal: Angesichts der Überlieferungssituation des Iberischen ist eine iberische Herkunft der Lautfolge überhaupt nicht auszuschließen. Im Grunde genommen ist sie eigentlich wahrscheinlicher als eine indoeuropäische (illyro-venetische) Herkunft.
Da hilft es auch nichts, die Bedeutung des Trümmersprachencharakters des Iberischen für die Klärung der iberischen Toponyme als "Pauschalklassifikation" zu bagatellisieren. Man kann da drumherumreden wie man will: Die Methoden der Historiolinguistik stoßen dort an ihre Grenzen, wo eine Einzelsprache nur bruchstückhaft überliefert ist. Ohne Methoden keine Wissenschaft.
Hiergegen wehren sich Villar und andere spanische Altsprachler. Sie kritisieren die Zusammenfassung von "-turgi", "-murgi" etc. als "-urgi"-Namen. Stattdessen seien hier unterschiedliche, eigenständige Wurzeln anzusetzen. Diese begreift Villar zunächst als vor-indoeuropäisch-iberisch.
Es ist erstmal nur vernünftig, dass Untermann seine Beobachtung eines -urgi- diskutiert.
Villar selbst spricht im Übrigen in dem bereits von dir verlinkten Buch
Indoeuropeos y no indoeuropeos en la Hispania prerromana von einer
Urc-Serie (
sic!,
Indoeuropeos y no indoeuropeos en la Hispania prerromana, Salamanca 2000, S. 209 - 222).
So schreibt Villar dort u.a.:
"Al igual que Ceturgi y Isturgi, arketurci tiene la peculiaridad de que nuestro elemento serial va inmediatamente precedido de una -t- que genera ambigüedad en el análisis morfológico. En efecto, en principio son posibles dos segmentaciones:
1.) La -t- pertenece al primer miembro, que en tal caso sería respectivamente arcet-, Cet- e Ist-.
2.) La -t- pertenece al segundo miembro, que entonces sería turgi. Los respectivos primeros serían en tal caso arke-, Ce-, Is-. Si este análisis fuera el correcto, arketurki, Ceturgi e Isturgi no sería miembros de la serie urc, sindo de la seria turci, que analizo en otro capítulo.
Prinzipiell entscheidet sich hier Villar zwar für ein Nebeneinander eines iberischen -urc-Morphems und eines substratischen indoeuropäischen
-turg/c-, aber das Problem wird hier deutlich.
Interessanterweise gibt er seine Unschlüssigkeit, in welche der beiden Serien man denn nun
arketurki einzuordnen habe, zu:
J. Untermann se inclinó siempre a incluirlo a la serie urc-, aunque en un primer momente dejaba sin explicar la -t- [...] En un trabajo reciente ha propuesto ver en el primer miembro la palabra de la plata con omisión gráfica de la nasal. Tal explicación me parece posible y por ello incluyo este topónimo en la serie urc. No obstante, no creo que pueda descartarse definitivamente la posibilidad de que el análisis correcto sea arke-turki, por lo que lo mencionaré también en la seré turc-.
Villar argumentiert hier also mit dem
Glauben. Ein Physiker würde an dieser Stelle die Hände über dem Kopf zusammenschlagen...
Das hier soll nicht als Angriff auf Villar missverstanden werden. Wie gesagt, wir stoßen hier einfach an die Grenzen der historiolinguistischen Methodik.
Ich frage mich allerdings, ob das -t- hier nicht einfach eine
Fuge darstellt.
Fugenlaut ? Wikipedia
Kompositionsfugen werden epenthetisch dann eingefügt, wenn man zwischen zwei Kompositionsbestandteilen entweder aus phonetischen oder auch aus ästhetischen Gründen einen weiteren Laut benötigt. Gerade zwischen zwei Vokalen könnte ein eingefügtes -t- beispielsweise die Qualität des Vokals zu erhalten geholfen haben: arke-urgi - Ce-urgi.
Interessanterweise subsumiert Villar 2005 in seinem Buch
Vascos, celtas e indoeuropeos (gemeinsam verantwortet mit Blanca Ma. Prósper) wiederum Ceturgi, Isturgi (S. 99), Arceturci, Laturcius (S. 101) und Coturga (S.108) unter die
urc-Namen. Von einem -turg/c- ist hier, fünf Jahre später, keine Rede mehr.
Dahinter steckt sicherlich keine bewusste Diskriminierungsabsicht, ebensowenig wie bei Untermann, dessen Versuch, den Spaniern etwas "auf die Sprünge zu helten" sicherlich gut gemeint war. Aber die Grundtendenz halte ich schon für bedenklich - die Quellen hatte ich ja alle verlinkt, Nachlesen wäre möglich gewesen. Wenn ich Spanier ware, würde mich so etwas ziemlich ärgern.
Das sind Argumenta ad personam, die Untermann (unbewusste) außerwissenschaftliche Absichten unterstellen. Und seit wann beginnt bzw. endet Wissenschaft an nationalen Grenzen?!
Deshalb werde ich mich nicht an Diskussionen beteiligen, die spanische Ortsnamensdeutungen über deutsche Analogien belegen oder in Frage stellen wollen.
Das ist sehr schade, weil es bei der Analogiebildung vor allem um eines geht: Die Methoden zu überprüfen bzw. ihre Grenzen. Egal, ob es sich um ein scherzhaftes Morphem -
fenb- handelt oder um ein tatsächliches [kœln]. Sepiolas -
fenb- ist ein genialer Wurf, weil es ganz wunderbar veranschaulicht, an welche Grenzen wir methodisch stoßen, gerade weil wir bei -
fenb- ja genau wissen, dass es kein eigentlich Morphem sondern bloß eine Lautfolge ist.
Zu den Sprachen östlich der Weichselmündung im 1. Jahrhundert haben wir meines Wissens eine einzige Quelle, nämlich Tacitus ("ähnelt mehr der der Briten als der der Germanen").
Dazu habe ich schon meinen Teil geschrieben (den du gleich wieder für die Formulierung einer absurden Hypothese missbraucht hast): Ich höre zuhause täglich Polnisch, habe ein romanistische Ausbildung mit Schwerpunkt auf dem Spanischen und obwohl ich aufgrund meiner hispanistischen Ausbildung Portugiesisch problemlos leseverstehen kann, hört es sich für mich, der ich täglich eine slawische Sprache höre, immer an, wie ein slawische Sprache, was es unzweifelhaft nicht ist. Eine linguistische Ausbildung gab es in der Antike nicht. Antike Schriftsteller sind bei der Klassifikation von Sprachen allein auf Eindrücke beschränkt. Du erwartest nun aber von Tacitus bzw. seinem unbekannten Gewährsmann, dass er ganz ohne linguistische Ausbildung in der Lage ist, allein vom Gehör, zwei Fremdsprachen zu unterscheiden. Hier wäre
Quellenkritik angebracht!
Ansonsten würde mich interessieren, warum Du an diesem Punkt den in Gallien geborenen Tacitus für unglaubwürdig hältst (
eigentlich bin ich doch als Tacitus-basher bekannt :winke
.
Dass Tacitus in Gallien geboren oder gar gallischer Herkunft sei, ist keinesfalls gesichert. Eine Hypothese, kein Faktum.