Ich denke, dass die Araber gelehrige Schüler waren und in den Jahrhunderten nach ihrer Expansion keineswegs nur als Kriegerstand existierten.
Wie ich oben schon sagte wirkten die Araber vielfach als Katalysator, da sich in ihrem Herrschaftsbereich wissenschaftliche und philosophische Strömungen aus Persien, Indien, Griechenland und Byzanz kreuzten. Vieles davon fügten die Araber neu zusammen, modifizierten es oder ließen ganz Neues daraus entstehen.
Die arabische Hochkultur allein Persern und Ostchristen zuzuschreiben, verkennt den komplexen Zusammenhang.
Diese Beschreibung ist im Wesentlichen zutreffend. Die kulturelle Leistung der Araber, die als Minorität ein riesiges religiös-politisches Herrschaftsgebiet durch Eroberung geschaffen haben, liegt vor allem in der sprachlichen Integration und der Transmission antiker Wissensbestände. Und erschaffen in diesem Prozess der Aneignung eine genuin arabische Form der Wissenschaft, allerdings, so Lombard, als Teil einer neuen Kultur, da die erobernde arabische Minorität sich schnell und erfolgreich in die unterworfenen – städtisch geprägten - Völker assimiliert (Lombard, S. 19ff)
Die Integration war auch deshalb so erfolgreich, weil die Araber als Befreier von römischer, byzantinischer, persischer oder sassanidischer Herrschaft von der einheimischen Bevölkerung nicht selten gesehen worden ist (Lombard, S. 21).
„Die unterworfene Bevölkerung stellten ganz selbstverständlich die Verwaltungskader, jenes geistige Werkzeug kultivierter Völker, zur Verfügung. Die christlichen, jüdischen oder persischen Konvertiten,…, werden bald eine entscheidende Rolle beim Aufbau dieser synkretistischen, „islamischen“ Zivilisation spielen.“ (Lombard, S. 22).
Das beleuchtet die Frage, ob es sich um eine arabische oder um eine islamische Kultur handelt. Sofern man von einer arabischen Kultur spricht, rückt man den dynastischen herrschaftlichen Aspekt in den Vordergrund der Betrachtung. Die Ergebnisse der Wissensproduktion sind jedoch das Ergebnis eines synkretistischen Prozesses, an dem „Araber“ –als forschende Individuen – nur unter anderem beteiligt sind. Dennoch ist „Arabisch“ das gemeinsame Band, das die Blüte der islamischen Kultur in dieser Phase erst ermöglicht hatte. Die Mehrzahl der wissenschaftlichen Texte waren zwischen dem neunten und dem sechszehnten Jahrhundert im „Nahen Osten“ in arabisch geschrieben. (Dallal, Pos. 3027) Insofern erscheint die Beschreibung der wissenschaftlichen und kulturellen Erkenntnisse bzw. Publikationen als "islamische Kultur" entsprechend dem multiethnischen Erstellungsprozesses als angemessener. (vgl. den guten Beitrag von lynxxx #341!!)
Und Lombard resümiert: „Der Islam….ist eng verbunden mit der Geschichte aller Räume, die seine Wiege umgaben…“ und integrierte Europa, Afrika, Indien bzw. auch Süd-Ost-Asien.
Für das Mittelalter beschreibt Flasch die Art der „islamischen Herausforderung“ für den Westen bzw. auch ihren Einfluß wie folgt: „Die zivilisatorische und auch philosophische Entwicklung des lateinischen Westens seit dem 13. Jahrhundert ist ohne den Einfluß der Araber nicht zu vestehen.“ (Flasch, S. 262).
Und fährt fort: „Die Gesellschaft des Westens hatte seit dem Ende des 11. Jahrhunderts eine ökonomische, politische, militärische und intellektuelle Dynamik entfaltet, die sie drängte, sich mit der überlegenen arabischen Zivilisation zu konfrontieren.“ (Flasch, S. 262).
Die Zeit der Kreuzzüge förderte die Übernahme und das Durchdringen der Kulturen, „Aber die Eroberer hatten die kulturelle Überlegenheit der Besiegten jetzt deutlich vor Augen.“ (Flasch, S. 262).
Um die Vielzahl arabischer Bücher für die westliche Kultur nutzen zu können, wurde in Toledo eine Übersetzungsschule gegründet, die systematisch vor allem die naturwissenschaftlichen arabischen Werke ins Lateinische übersetzten.
In dieser Phase erfolgte vor allem eine Transmission der mittelalterlichen arabischen Kultur nach West-Europa.
Es war jedoch in ihren antiken Wurzeln, wie schon mehrfach erwähnt, keine genuin antike arabische Kultur, die vomWesten übernommen worden ist. Vielmehr übernahmen die Araber ihrerseits im ca. 7. Jahrhundert bei ihren Zügen beispielsweise nach Persien und Ägypten das Wissen, die Wissenschaft und Buchkultur dieser Kulturen.
Aus einer Reihe von Gründen (Religiöse Verfolgung der z.B. Nestorianer) gelangte das antike griechische Wissen – via Antiochia und Edessa – an den persischen Hof. Die Araber fanden dieses kombinierte antike griechische und persische Wissen bei ihrer Eroberung von Persien im Jahr 641 vor. „Sie verhielten sich zunächst lernend und übersetzten [ins Arabische], was vorhanden war.( Flasch, S. 263). So ließ beispielsweise der Kalif von Bagdad (813-833) systematisch griechische, syrische und persische Literatur ins Arabische übersetzen. Wichte Arbeiten von Aristoteles wurden so für die Nachwelt erschlossen (Flasch, S. 264).
Ähnlich wie in Bagdad, das über eine Bibliothekeninfrastruktur (36 Bibliotheken mit hunderttausenden von Büchern) verfügte, die so in Westeuropa bis dahin nicht vorhanden war, war Cordoba unter seinem Kalifen um das Jahr 1000 ein weiteres Zentrum der islamischen Kultur und Wissenschaft. „Von Samarkand bis Cordoba ist die islamische Kultur eine städtische Kultur von bemerkenswerter Homogenität….Die Islamische Welt erscheint demnach als eine Reihe kleiner, urbaner Inseln, die über verschiedenste Handelskanäle miteinander verbunden sind.“ (Lombard, S. 28)
Die Homogenität kann man teilweise auch an den Biographien von "mobilen" Staatsdienern erkennen, die im muslimischen Einzugsbereich problemlos in unterschiedlichen Städten, teils weit entfernt voneinander, eine ähnliche Anstellung gefunden hatten. Die gemeinsame Sprache und ein ähnliches Verwaltungs- und Rechtsbewußsein ermöglichten diese Form der mittelalterlichen Migration von hoch qualifiziertem Verwaltungspersonal.
Und dieses Netz wird durch eine Reihe von Krisen beschädigt und es erfolgt das Auseinanderbrechen einer einzigartigen relativ homogenen islamischen Kultur, die durch stärker regionalisierte islamische Kulturen ersetzt wird (Lombard, S. 28)
Vor diesem Hintergrund stand die westliche Welt im Hochmittelalter vor der Herausforderung, sich der Überlegenen arabischen Hochkultur zu stellen. Und es erfolgte im Westen eine ebenso schnelle Adaption der arabischen Werke, wie vorher die Araber ihrerseits bereits vorhandene antike Wissensbestände adaptiert haben.
Nebenbei ein absolut sinnvoller Prozess, der der Merton`sche Idee entspricht, dass wir alle auf den Schultern von Riesen stehen. Insofern wirkt die teilweise herablassende Beurteilung der Araber bei der Adaption antiker Wissensbestände durch einzelne Teilnehmer des Forums unverständlich und befremdlich, um es freundlich zu formulieren.
Die Dramatik der wissenschafltichen Rückständigkeit des Westens zeichnet Flasch anhand zeitgenössischer Stimmen nach und resümiert: „Hatte das frühe Mittelalter seine Naturkenntnis bestenfalls aus Plinius und Seneca bezogen, so waren gegen 1200 die griechische und arabische Optik [vgl. den Beitrag von Scorpio], Medizin, Physik und Philosophie zugänglich.“ (Flasch, S. 266).
Aufgrund des wissenschaftlichen Fortschritts in der islamischen Welt stellten sich früher wie im Westen Fragen, die sich auf die unterschiedlichen Formen der Erkenntnis bzw. „Erleuchtung“ fokussierten. Beide Erkenntnissysteme standen in einem Rivalitätsverhältnis zueinander.
„Die arabischen Denker hatten ebenso in einer religiös geprägten Welt gelebt wie die des Westens und stand früher als diese vor dem Problem, wie die Offenbarungsreligion mit dem griechisch geprägten Naturwissenschaften und der Philosophie zu versöhnen sei.“ (ebd. S. 268) Ein Problem, das vor allem Hamid Ghazali adressierte und die Trennung der Erkenntnis im Rahmen des „Glaubens“ von einer „verstandesorientierten“ Sicht forderte (vgl. Hourany & Ormsby). Dieser Aspekt sollte separat betrachtet werden und ist deutlich komplexer wie die Frage nach „Kausalität“.
Dallal, Ahmad (1999): Science, Medicine, and Technology. The making of a scientific culture. In: John L. Esposito (Hg.): The Oxford history of Islam. New York, N.Y.: Oxford University Press, S. 155–214.
Flasch, Kurt (1986): Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli. Stuttgart: Reclam.
Hourani, Albert Habib (1991): A history of the Arab peoples. Cambridge, Mass.: Belknap Press of Harvard Univ. Press.
Ormsby, Eric (2012): Ghazali. The Revival of Islam. New York: Oneworld Publications
Lombard, Maurice (1992): Blütezeit des Islam. Eine Wirtschafts- und Kulturgeschichte; 8. - 11. Jahrhundert. Frankfurt am Main: Fischer