Viele Autoren des 19. Jahrhunderts und einige ihrer Werke gerieten im Zuge der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre in die Kritik, und es wurde der Vorwurf des Rassismus teilweise recht pauschal und undifferenziert erhoben. In diesem Zusammenhang muss ich an einen Roman denken, der im gleichen Jahr, 1852, erschien wie Herman Melvilles "Moby Dick", der aber eine sehr unterschiedliche Rezeption erlebte. Ich spreche von Harriet Beecher Stowes "Uncle Toms Cabin". Im Gegensatz zu Melvilles Roman wurde es ein Bestseller mit mehreren 100.000 verkauften Exemplaren allein in der ersten Auflage. Der Roman wurde fast so etwas wie die Bibel der Abolitionisten, und ein unverdächtiger Zeitgenosse, Leonid Tolstoi, verglich ihn tatsächlich mit dem Neuen Testament. Innerhalb von nicht mal 10 Jahren erschienen mehrere Dutzend Persiflagen und Anti-Uncle Tom-Romane. Eine Anekdote erzählt, dass Lincoln bei einer persönlichen Begegnung mit der Autorin gesagt haben soll: "So that´s the little woman who caused the Great War". Der Roman blieb auch nach dem Bürgerkrieg populär, und wegen der ziemlich laschen Urheberrechte in den USA wurden Theaterstücke aufgeführt, die den Inhalt sehr frei bearbeiteten und im Stile der Ministrel Shows inszenierten. Das waren Shows, in denen Afroamerikaner sehr klischeehaft von weißen Darstellern gespielt wurden. Eine typische Figur dieser Shows war "Jim Crow", nach dem die Rassengesetze volkstümlich genannt wurden, die Ende der "Reconstruction" in den Südstaaten erlassen wurden nach dem Grundsatz "seperate but equal" und die bis in die 1960er Jahre Bestand hatte, als sich die Bürgerrechtsbewegung formierte. Ein "Uncle Tom" wurde zu sein, wurde geradezu zum Schimpfwort für Afroamerikaner, die sich devot und unterwürfig gegenüber der weißen Mehrheitsgesellschaft verhielten. Muhammed Ali beschimpfte seinen großen Konkurrenten "Smokin´Joe" Frazer nicht nur als Gorilla, sondern, beleidigender noch, als Uncle Tom. Becher Stowes Roman geriet zwar nicht in Vergessenheit, aber er wurde immer weniger gelesen. Als ich in Berkeley zwei Semester Amerikanische Literatur studierte, lasen wir Romane aus dem 19. Jahrhundert, u. a. "Uncle Tom´s Cabin". Es stellte sich heraus, dass die meisten Studenten den Roman kannten, nicht aber den Inhalt und sich die Figur des "Uncle Tom" als devoten, unterwürfigen Schwarzen vorstellten, was er nicht ist. Der lehnt zwar gewaltsamen Widerstand ab, kommt aber zuletzt ums Leben, weil er sich weigert zwei entlaufene Sklavinnen zu verraten. "Uncle Tom´s Cabin" erlebte Ende der 1980er, Mitte der 1990er Jahre eine bescheidene Renaissance, als Harriet Beecher-Stowes Aktivitäten als Feministin und Suffragistin bekannter wurden und ihre Engagement gegen das, was sie "Domestic Slavery nannte.
Nach diesem Exkurs in die Literaturgeschichte aber zurück zu Sprachcodes, PC etc. Inhaltlich stimme ich ja vielem zu, was hier geschrieben wurde. Es lässt sich Diskriminierung nicht per Sprachcodes beseitigen, und wenn Comics, Zeichentrickfilme, Speisekarten und Kinderbücher Sprachregelungen zum Opfer fallen und der Vorwurf der Volksverhetzung laut wird oder Zensur eingefordert wird, ist das bedauerlich bis peinlich.
Einiges, was hier geschrieben wurde/wird, hört sich aber in der Tat ziemlich verschwörungstheoretisch und auch sehr einseitig an. Da werden Äpfel mit Birnen und mittelalterliche Urkunden mit Kinderbüchern verglichen, da werden Interpolationen, Bearbeitungen, Fälschungen in einen Topf geworfen ist von Zensur, Bücherverbrennungen ja Gedankenpolizei die Rede, da wird suggeriert, dass PC-Apologeten, Gutmenschen, der CVJM, die katholische Kirche mit bilderstürmerischem Fanatismus Bibliotheken stürmen, um Weltliteratur zu zensieren und Weltliteratur wie D. H. Lawrence, Marquis de Sade, Sacher-Masoch,Astrid Lindgren, Günther Grass und die LTB zu zensieren, zu indizieren und zu verbrennen.
Fakt ist aber, um im deutschsprachigen Raum einen leitenden Posten in einer Bibliothek oder einem Archiv zu besetzen, ist eine abgeschlossene akademische Ausbildung als Philologe Voraussetzung, für die gehobene Laufbahn eine Promotion zwar nicht Pflicht, aber meist die Regel. Es ist seit den 1960er Jahren nicht weniger, sondern mehr veröffentlicht worden, das Spektrum der Meinungen ist nicht schmaler, sondern breiter geworden. Es ist nicht eines der Werke der genannten Autoren zensiert, verfälscht oder vom Literaturmarkt verschwunden. Zynisch gesagt gibt es für ein Buch in der modernen Literaturszene eigentlich gar keine bessere Werbung, als wenn es auf einem Index landet, wenn sich die die Kirchen, irgendein Zentralrat oder sonst eine Organisation darüber beschwert.
Urheberrechte von Autoren schützt die VG-Wort, und wenn man ein religionskritisches Werk veröffentlicht, das so niveauvoll ist, dass es in Bibliotheken landet, zahlt sie einem noch eine jährliche Tantieme. Wenn eine (religiöse)Organisation das moniert und das Buch indiziert, verbrennt oder sich sonst was damit abwischt, wird man das als freie Meinungsäußerung dulden, so wie die die Veröffentlichung aushalten müssen. Es gilt das Motto, dass eine vernichtende Kritik besser ist, als gar keine.