Bürgerlicher Rechtsstaat? Reicht Rechtsstaat allein nicht aus?
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Mir zumindest würde ein bloßer Rechtsstaat nicht reichen. Ein Rechtsstaat muss nicht demokratisch, nicht republikanisch sein. Der Souverän eines Rechtsstaates kann auch ein absolutistischer Fürst sein, der nicht über Staatsbürger (Citoyens), sondern über Untertanen gebietet. Das friderizianische Preußen, das deutsche Kaiserreich waren zweifellos Rechtstaaten- das Kaiserreich hat seinen Bewohnern durchaus große Freiheiten gewährt. Im Kaiserreich wurde unser Bürgerliches Recht kodifiziert, das noch heute gültig ist.
Selbst ein autoritär regierter Staat, der bürgerliche Freiheiten beschneidet und außer Kraft setzt, könnte die Kriterien eines Rechtsstaates erfüllen.
Im Deutschen gibt es die Differenzierung zwischen Citoyen und Bourgeois nicht, und es gibt eine Reihe von Begriffen, in denen der -Bürger etwas abschätzig wegkommt: Der Spießbürger, der Schildbürger, der Pfahlbürger, der Kleinbürger, der Wohlstandsbürger, seit Neuestem die Reichsbürger und die Wutbürger. Mancher hat seine Karriere als Bürgerschreck begonnen.
Der Biedermeier, der unpolitische Bourgeois waren beliebte Sujets der Satire, und mit den bürgerlichen Revolutionen oder überhaupt Revolutionen hat in Deutschland Manches schlecht geklappt gelaufen. Von den Errungenschaften der 1848er Revolution ist zuletzt an bürgerlichen Freiheiten nur noch das Recht geblieben, auf der Straße rauchen zu dürfen.
Trotzdem besteht aber eigentlich kein Anlass, dass "Bürger" oder "bürgerlich" als negativ zu betrachten. Auch in Deutschland haben etwa die Hansestädte durchaus Grund, auf ihre bürgerlichen Traditionen stolz zu sein.
Die Bundesrepublik Deutschland definiert sich als "bürgerlichen Rechtsstaat", und wenn da von Bürgern und Bürgerrechten die Rede ist, dann sind natürlich Bürger im Sinne von Citoyen gemeint, Staatsbürger, mündige Bürger und keine Bourgeois, für die Ruhe die erste Bürgerpflicht ist.
Ein "bürgerlicher Rechtsstaat" garantiert und schützt die Rechte seiner Bürger. Die mündigen Bürger und nicht ein Autokrat sind der Souverän eines bürgerlichen Rechtsstaats.
Ein Rechtsstaat dagegen muss keine bürgerlichen Rechte garantieren oder sie schützen. Ein Rechtsstaat kann auch von einem autokratischen Fürst regiert werden, für einen Rechtsstaat genügt es, wenn eine gewisse Rechtssicherheit gewährleistet ist. Es können in Punkto Rechtsstatus ganz beträchtliche Unterschiede in einem Rechtsstaat herrschen.
Also um die Frage noch mal zu wiederholen: Reicht Rechtsstaat allein nicht aus?
Nein! Um als Rechtsstaat durchzugehen, braucht ein Staat nur eine rudimentäre Rechtssicherheit. Keine bürgerlichen Rechte, keine Rechtsgleichheit, keine Bürgerrechte ja nicht einmal Bürger. Ein Souverän eines Rechtsstaats kann auch über Untertanen gebieten.