Dazu passt auch der Vorwurf, den eine ältere Rezension des Bultmann-Schülers Prof. Siegfried Vierzig gegen Wunns Doktorarbeit von 1999 richtet (= Wunns Unvermögen, das Religiöse in seinen Zusammenhängen wirklich zu verstehen):
(Vierzig, Mythen der Steinzeit, 171):
(Fettmarkierung von mir)
Der Titel einer jüngst veröffentlichten Dissertation gibt diesen Befund ziemlich genau wider: „Götter-Mütter-Ahnenkult, Religionsentwicklung in der Jungsteinzeit“ von Ina Wunn. Isolierte Phänomene werden für sich interpretiert. Was fehlt, ist die Frage nach dem Zusammenhang, der Versuch, die innere Logik dieser Phänomene zu thematisieren. Die Autorin behandelt das Thema „Religion“ in der Steinzeit als ein Sammelsurium von einzelnen Kultformen, von magischen Praktiken und Verehrungsobjekten, die nichts miteinander zu tun haben. Eine solche Sichtweise ist meist auch verbunden mit dem Verzicht, nach Vorbildern oder älteren Traditionen zu forschen, also Entwicklungslinien innerhalb der einzelnen Epochen der Steinzeit auszumachen. In Wirklichkeit ist aber davon auszugehen, dass es ein kontinuierliches Weltbild gegeben hat, d.h. eine Vorstellung vom kosmischen Ganzen, mit einer religiösen Sinninterpretation versehen.
Ein weiteres Beispiel für den beliebten Sport des
title dropping *augenroll
*.
Dagegen der Philosoph und Historiker
Harari - den ich für zwar
lesenswert aber auch für
überschätzt halte - ganz gegenteilig zu Vierzig (und der kommt mit seinen Verriss von Leuten wie Vierzig wieder der von Vierzig so verrissenen Wunn sehr nah):
Animismus ist keine spezifische Religion, es handelt sich vielmehr um einen Überbegriff für Tausende verschiedene Religionen, Kulte und Glaubensvorstellungen, die sich untereinander ganz erheblich unterscheiden können. [...] Wenn wir sagen, dass die meisten Jäger und Sammler Animisten sind, dann besagt das nicht mehr, als die Aussage, dass die meisten Bauern Theisten sind. Theismus ist die Vorstellung, dass die Ordnung der Welt auf einem hierarchischen Verhältnis zwischen Menschen und […] Göttern basiert. Unter dem Oberbegriff [...] finden sich jüdische Rabbiner aus dem Polen des 18. Jhdt.s genauso wieder wie die hexenjagenden Puritaner […] Aztekenpriester […] Sufi-Mystiker […] Wikinger [...] römische Legionäre […] chinesische Bürokraten....
Zwischen den Glaubensvorstellungen und Praktiken dieser Gruppen liegen Welten und genauso groß waren vermutlich die Unterschiede zwischen den religiösen Vorstellungen der verschiedenen Jäger- und Sammlerkulturen.
Und dann sagt Harari das, was ich Chan immer wieder nahezubringen versucht habe, eigentlich auf der Hand liegend banal:
Jeder Versuch, die religiösen Vorstellungen der Jäger detaillierter zu beschreiben, wäre pure Spekulation, da wir kaum Beweise haben und sich die wenigen Indizien - eine Hand voll Gegenstände und bruchstückhafte Höhlenmalereien - in tausenderlei Weise interpretieren lassen. Wenn Wissenschaftler trotzdem Theorien aufstellen, dann verraten diese oft mehr über ihre eigenen Sehnsüchte und Vorurteile als über die Religionen der Steinzeit.
Statt auf der Grundlage von einigen Grabbeigaben [...] hochfliegende Theoriegebäude zu errichten, sollten wir ehrlich zugeben, dass wir nur sehr ungefähre Vorstellungen von den Religionen der steinzeitlichen Jäger und Sammler haben. Wir nehmen zwar an, dass sie Animisten waren, doch das sagt noch reichlich wenig aus. Wir wissen nicht, welche Geister sie anriefen, welche Feste sie feierten, oder welche Tabus sie einhielten. Vor allem wissen wir nicht, welche Mythen sie sich erzählten.
Soweit Harari, den ich persönlich zwar für überschätzt halte, aber hier vollkommen zustimme.