Denn die in der antiken Literatur beschriebenen Rituale möchte man doch lieber nicht nachahmen
Wobei nicht ganz klar ist, was von Römern und Griechen tatsächlich mit eigenen Augen beobachtet wurde, und was zum Schlechtmachen der »barbarischen« Kelten erfunden wurde. Caesar hat ja bekanntlich ziemlich viel bei Poseidonios abgeschrieben, ohne selbst Zeuge irgendwelcher Menschenopfer gewesen zu sein. Spätere Autoren scheinen den Bericht des Poseidonios dann ebenso unkritisch übernommen zu haben.
Speziell bei Strabon liegt der Verdacht der antikeltischen Greuelpropaganda nahe, da sich dieser in durchgehend abfälligem Ton über die Kelten äussert und auch nicht davor zurückschreckt, sie in ein zivilisatorisches Dämmerlicht zu rücken, was wie wir inzwischen wissen, nicht das Geringste mit der Wirklichkeit zu tun hat.
Solche Propaganda war für die Römer natürlich nützlich: dadurch liess sich die Eroberung Galliens prima rechtfertigen, und die Römer standen als Erlöser dar, welche die armen Gallier vom schrecklichen Joch der blutrünstigen Druiden befreiten.
Funde von enthaupteten Skeletten, wie etwa bei Acy-Romance (II. Jhd. v. Chr.) bezeugen noch keine Menschenopfer. Niemand kann mit Sicherheit sagen, dass diese Menschen nicht strafrechtlich (statt zu Opferzwecken) hingerichtet wurden. Namhafte Keltologen und Archäologen wie etwa
Jean-Louis Bruneaux oder Jean-Louis Cadoux laden bei der Untersuchung antiker griechisch-römischer Quellen zur grössten Vorsicht ein; sie gehen davon aus dass es, wenn überhaupt, ab dem II. Jhd. nur noch in sehr seltenen Fällen zu Menschenopfern gekommen ist, da dies von den Druiden, die in engem Kontakt mit dem griechischen Kulturkreis standen, unterbunden worden wäre; zur Zeit Caesars stellten sie wohl (wenn es denn welche gegeben haben sollte) eine absolute Ausnahme dar.
Dabei darf man nicht vergessen (hier wird mir Biturigos gewiss nicht widersprechen) dass es ein Fehler wäre, von
»den« Kelten zu reden; dass es sich bei den hypothetischen Menschenopfern folglich nicht um eine von
allen gallischen, geschweige denn »gesamtkeltischen« Stämmen beobachtete Praxis gehandelt hat.
Der Brustton der Empörung der römischen Chronisten mutet jedenfalls, gelinde gesagt, etwas heuchlerisch an, bedenkt man was beispielsweise Plutarch im Leben des Marcellus zu berichten hat:
τότε τοῦ πολέμου συμπεσόντος ἠναγκάσθησαν, εἴξαντες λογίοις τισὶν ἐκ τῶν Σιβυλλείων, δύο μὲν Ἕλληνας, ἄνδρα καὶ γυναῖκα, δύο δὲ Γαλάτας ὁμοίως ἐν τῇ καλουμένῃ βοῶν ἀγορᾷ κατορύξαι ζῶντας· <ἐφ'> οἷς ἔτι καὶ νῦν ἐν τῷ Νοεμβρίῳ μηνὶ δρῶσιν <Ἕλλησι καὶ Γαλάταις> ἀπορρήτους καὶ ἀθεάτους ἱερουργίας.
Zu der Zeit, als dieser Krieg über sie hereinbrach, waren sie [die Römer] gezwungen, gewissen orakelhaften Geboten aus den sibyllinischen Büchern zu gehorchen und zwei Griechen, einen Mann und eine Frau, und ebenso zwei Gallier, an dem sogenannten Forum boarium, oder Viehmarkt, [lebendig] zu begraben; und im Gedenken an diese Opfer führen sie bis heute, im Monat November, geheimnisvolle und geheime Zeremonien durch.
(Plutarch,
Leben des Marcellus, III, 3, 7)
Die gleiche Information findet sich auch bei Titus Livus. Und bei Seneca findet sich ein Bericht über 300 Senatoren und Equites, die Augustus angeblich bei der Einnahme von Perusia 40 v. Chr. auf dem Altar des Caesar geopfert haben soll. Siehe hierzu Jonathan Warner,
Human sacrifice at Perusia.