Den Schülern heute fehlt der Bezug. Mein Vater war gerade alt genug, um sich an die Leichen in den Straßen, Luftschutzkeller und "verschwundene Leute" zur erinnern. Ich musste als Kind bei der Pflege der Gräber von zwei in die Heimat überführten gefallenen Großonkeln helfen. Und da ich meine Großväter, die vor meiner Geburt starben, nicht mehr kannte, erzählten mir Nachbarn von der Zeit. Auch davon, wie sie davon erfuhren, was wirklich in den Lagern geschah. Einer war bei der Waffen-SS und er erzählte, wie er in Gefangenschaft einen jüdischen Händler aus dem Nachbarort wiedertraf, den alle für tot gehalten hatten. Dieser war als Übersetzer für die rote Armee tätig. Und in der Schule gab es mehr oder weniger regelmäßig Vorträge von Zeitzeugen. Und wenn uns Jungs einige Senioren aus dem Ort mit Kriegsspielzeug erwischt hätten, hätte es was gesetzt. Davon gingen wir zumindest aus. Bei einigen meiner Mitschüler zu Hause hingen die Fotos ihrer gefallenen Großväter mit oder ohne Uniform an der Wand. Das KZ bei der Wewelsburg erklärten uns Leute, die sich an Wewelsburg in der damaligen Zeit erinnern konnten. Ein Lehrer hatte noch im Krieg gedient.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Und all das fehlt heute. Für die heutige Jugend ist das alles weit weg. Und da muss dann auch viel generalisiert werden, was okay und was daneben benommen ist. Und das geht eben in einem vom WWW geprägten Umfeld noch öfter daneben, als es sonst schon bei Jugendlichen passieren würde.
Die Vermittlung wird neue Wege gehen müssen, wenn z.B. das Lesen von Büchern wie das Tagebuch der Anne Frank gänzlich 'uncool' sein soll und aus dem sozialen Umfeld auch keine häufige Thematisierung mehr zu erwarten ist.
Anders ausgedrückt, fehlt bei vielen eine genügende Sozialisation in dieser Hinsicht.
Ich habe mal erlebt, wie ein pensionierter Lehrer, der ein Antiquariat betrieb, zwei Schülern, die Bücher für ein Referat darüber suchten, ganz geduldig ihre kruden Vorstellungen auseinander nahm und sie auf die richtige Fährte brachte. Ich wäre nicht so geduldig gewesen. Aber es hat augenscheinlich funktioniert. Die beiden begannen sichtlich, sich dafür zu interessieren und waren auch entsprechend schockiert. Es ist also kein methodisches Hexenwerk, auch wenn zwei Schülern sicherlich besser unterrichtet werden können als Zwanzig bis Dreissig.