Armer Konrad
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Ich habe vor ein paar Wochen auf einer kommerziellen Seite (die nicht mehr verfügbar ist) endlich eine nahezu vollständige Übersetzung (ins Englische) der "Räuber vom Liang Schan Moor" gefunden, und nehme dies zum Anlass, die Rubrik "China" hier im Forum etwas zu beleben. Falls es keine Einwände gibt, werde ich Morgen (resp. heute Abend) versuchen, das PDF in einem nächsten hoch zu Laden.
Historischer Zusammenhang
Bei den „Räubern vom Liang schan Moor“ handelt es sich um Sagen von aufständischen Banditen und Rebellen, welche in den chinesischen Provinzen Schantung, Henan und Jiangsu, aber auch am Yang tse ihr Unwesen trieben. Die Handlung ist zeitlich im frühen 12. Jahrhundert, in die letzten Regierungsjahre der Sung-Dynastie (Kaiser Hui Tsung, 1101 – 1126), zu verordnen, kurz bevor die Kitan-Dynastie Nordchina eroberte und die Sung ihre Herrschaft als „südliche Sung-Dynastie“ in den Süden verlegen musste. Der im Original nicht mehr vorhandene Roman ist vermutlich im 14. Jahrhundert, in den letzten Regierungsjahren der Yüan-Dynastie, entstanden. Es dürfte sich damit um den ältesten Roman überhaupt, zum Mindesten aber um den ältesten historischen Roman der Weltgeschichte handeln.
Der weitläufige Handlungsstrang umfasst die Geschichte der aus einem Unterschlupf im Sumpfgebiet des Liang-Berges (Schantung) heraus agierenden Räuberbande und deren obersten Anführer Sung Kiang / Sung Kung Ming, dem „Regenspender von Schantung“ und Tschao Kai, dem „Pagodenträger“. Im Verlauf der Erzählung entwickeln sich die Räuber von einer gewöhnlichen Bande von Banditen und Wegelagerern zu Rebellen gegen kaiserliche Korruption und Misswirtschaft, zu erfolgreichen Burgbelagerern und schliesslich zu Eroberern von ganzen Städten. Nach zahlreichen misslungenen Versuchen, die Bande zu zerschlagen werden die Liang schan-Räuber schliesslich begnadigt und in kaiserlichem Auftrag gegen das Volk der Dschurdschen, welches als Liao-Dynastie (historisch) die Region von Peking beherrscht und der die Sung tributpflichtig sind sowie gegen den Rebell und Gegenkaiser Fang La (historisch, Fang La - Wikipedia ) eingesetzt.
Die Protagonisten der Erzählung sind die 108 Anführer oder Häuptlinge der Bande, während die gewöhnliche Banditen nur als namenlose Masse in Erscheinung treten. Von einigen dieser 108 Häuptlingen wird die individuelle Biographie bis zum Eintritt in die Bande thematisiert – ein Hinweis darauf, dass es sich bei dem Roman um gesammelte, ursprünglich voneinander unabhängige mündliche Überlieferungen gehandelt hat. Die Zusammensetzung der 108 ist recht heterogen: sie umfasst neben ehemaligen kaiserlichen Heerführern, Waffenmeistern und Beamten auch Gutsherren, Wissenschaftler, Künstler, Bauern, Handwerker, Mönche, Händler, Fischer und Gastwirte sowie Kriminelle wie Wegelagerer, Diebe, Flusspiraten, Salzschmuggler und Kannibalen. Auch drei Frauen sind darunter, eine virtuose Fechtkünstlerin und Burgherrin, eine rabiate Gastwirtin – genannt „Tigermutter“ – und eine Kannibalin.
Das Faszinierende am Roman ist die Leistung, wie die einzelnen, ursprünglich unabhängigen Themen und Episoden professioneller Geschichtenerzähler in einen logischen Zusammenhang gebracht und zu einem Gesamtwerk zusammengefasst wurden. Dazu mussten u.a. auch historische Vorgänge suggerierende, zusätzliche Ereignisse konstruiert werden, um das Interesse an der Liang schan-Überlieferung hervorzurufen. Um die Popularität der Erzählung zu steigern wurden einzelnen Häuptlingen Merkmale beliebter Helden der mündlichen Erzähltradition aber auch historischer Gestalten untergeschoben. Aufgrund von Vergleichen mit den Kreisannalen lässt sich feststellen, dass die im Roman versammelten 108 Banditenanführer historisch zu unterschiedlichen, über die gesamte Sung-Dynastie verteilte Zeiten gelebt haben. So ist etwa der Burgherr Tschai Tsin, „der kleine Taifun“, ein Abkömmling des Tschai Rong resp. des Kaisers Shih Tsung (954 – 960) aus der späten Chou-Dynastie. Bei dem Häuptling Yang Tschi, der „Wildkatze mit dem blaugrünen Gesicht“ wiederum handelt es sich um einen Nachfahren des Heerführer-Clans der Yang. Historisch unzusammenhängende Ereignisse wurden so miteinander verknüpft.
Bei einem der beiden „Oberhäuptlingen“, Sung Kung Ming oder Sung Kiang (dem „Regenspender von Schantung“, auch „Regen zur rechten Zeit“ genannt) handelt es sich eindeutig um eine historische, wenn auch dürftig dokumentierte Gestalt. Hinweise zum Rebellenanführer Sung Kiang tauchen in den Biographien der beiden kaiserlichen Feldherren der Sung-Dynastie, Hou Mong und Tschang Schu Yiä (beide sind auch Akteure der Erzählung) auf. Gemäss seiner Biographie hatte der Feldherr Hou Mong im „zweiten Jahr der Epoche Hsüan ho“ (1120) der Regierung „Hui Tsung“ (1100 bis 1126) einen alarmierenden Thronbericht erstattet, wonach der Rebell Sung Kiang mit seinen 36 Häuptlingen (die erste Garde der insgesamt 108 Häuptlingen) das Gebiet der ehemaligen Fürstentümer Tsi und Weh (nordwestliches Schantung, südliches Tschi li, südliches Schan hsi, nördliches Honan) unter seine Botmässigkeit gebracht hatte. Die stärksten Regierungstruppen vermöchten nichts gegen ihn auszurichten, seine Fähigkeiten überstiegen alles irdische Mass, das beste sei, ihn zu begnadigen und ihm Gelegenheit zu geben, sich durch die Bekämpfung des Rebellen Fang La wieder ehrlich zu machen. Daraufhin wurde Hou Mong gegen Sung Kiang in Marsch gesetzt, starb aber unterwegs. Sein Nachfolger Tschang Schu Yiä setzte eine Begnadigung für Sung Kiang und seine Leute durch und brachte ihn zur friedlichen Unterwerfung.
Diese Angaben werden bestätigt durch das halboffizielle populäre Geschichtswerk Tung kiän kang mu (unter dem Zyklus-Doppelzeichen hsin tschou, was der europäischen Jahreszahl 1121 entspricht). Der gelehrte Geschichtsglossar billigt darin dem Rebellen Sung Kiang als mildernden Umstand gnädig zu, dass er einer rechten konfuzianischen Erziehung entbehrt habe und die Begnadigung trotz der an sich todeswürdigen Taten daher zu vertreten gewesen sei. Eine weitere kurze Notiz über Sung Kiangs Eroberungen enthält „Die Geschichte der alten Kaiserstadt Loh yang“.
Drei Daten finden sich in der Erzählung selbst. Danach datiere die kaiserliche Begnadigung vom „zweiten Monat des vierten Jahres der Epoche Hsüan ho“ (1122). Der Thronbericht, den Sung Kiang dem Kaiser nach beendetem Feldzug gegen die Liao-Dynastie erstattete, datiert vom „neunten Monat des fünften Jahres Hsüan ho“ (1123). Sung Kiangs Tod fällt in das erste Drittel „des ersten Sommermonats (Mai) des sechsten Jahres Hsüan ho“ (1124).
Trotzt dieser Hinweise scheint der Aufstand von Sung Kiang – im Gegensatz zur Rebellion von Fang La ( ? – 1121) – tatsächlich keinerlei weiteren politischen Folgen nach sich gezogen zu haben.
Historischer Zusammenhang
Bei den „Räubern vom Liang schan Moor“ handelt es sich um Sagen von aufständischen Banditen und Rebellen, welche in den chinesischen Provinzen Schantung, Henan und Jiangsu, aber auch am Yang tse ihr Unwesen trieben. Die Handlung ist zeitlich im frühen 12. Jahrhundert, in die letzten Regierungsjahre der Sung-Dynastie (Kaiser Hui Tsung, 1101 – 1126), zu verordnen, kurz bevor die Kitan-Dynastie Nordchina eroberte und die Sung ihre Herrschaft als „südliche Sung-Dynastie“ in den Süden verlegen musste. Der im Original nicht mehr vorhandene Roman ist vermutlich im 14. Jahrhundert, in den letzten Regierungsjahren der Yüan-Dynastie, entstanden. Es dürfte sich damit um den ältesten Roman überhaupt, zum Mindesten aber um den ältesten historischen Roman der Weltgeschichte handeln.
Der weitläufige Handlungsstrang umfasst die Geschichte der aus einem Unterschlupf im Sumpfgebiet des Liang-Berges (Schantung) heraus agierenden Räuberbande und deren obersten Anführer Sung Kiang / Sung Kung Ming, dem „Regenspender von Schantung“ und Tschao Kai, dem „Pagodenträger“. Im Verlauf der Erzählung entwickeln sich die Räuber von einer gewöhnlichen Bande von Banditen und Wegelagerern zu Rebellen gegen kaiserliche Korruption und Misswirtschaft, zu erfolgreichen Burgbelagerern und schliesslich zu Eroberern von ganzen Städten. Nach zahlreichen misslungenen Versuchen, die Bande zu zerschlagen werden die Liang schan-Räuber schliesslich begnadigt und in kaiserlichem Auftrag gegen das Volk der Dschurdschen, welches als Liao-Dynastie (historisch) die Region von Peking beherrscht und der die Sung tributpflichtig sind sowie gegen den Rebell und Gegenkaiser Fang La (historisch, Fang La - Wikipedia ) eingesetzt.
Die Protagonisten der Erzählung sind die 108 Anführer oder Häuptlinge der Bande, während die gewöhnliche Banditen nur als namenlose Masse in Erscheinung treten. Von einigen dieser 108 Häuptlingen wird die individuelle Biographie bis zum Eintritt in die Bande thematisiert – ein Hinweis darauf, dass es sich bei dem Roman um gesammelte, ursprünglich voneinander unabhängige mündliche Überlieferungen gehandelt hat. Die Zusammensetzung der 108 ist recht heterogen: sie umfasst neben ehemaligen kaiserlichen Heerführern, Waffenmeistern und Beamten auch Gutsherren, Wissenschaftler, Künstler, Bauern, Handwerker, Mönche, Händler, Fischer und Gastwirte sowie Kriminelle wie Wegelagerer, Diebe, Flusspiraten, Salzschmuggler und Kannibalen. Auch drei Frauen sind darunter, eine virtuose Fechtkünstlerin und Burgherrin, eine rabiate Gastwirtin – genannt „Tigermutter“ – und eine Kannibalin.
Das Faszinierende am Roman ist die Leistung, wie die einzelnen, ursprünglich unabhängigen Themen und Episoden professioneller Geschichtenerzähler in einen logischen Zusammenhang gebracht und zu einem Gesamtwerk zusammengefasst wurden. Dazu mussten u.a. auch historische Vorgänge suggerierende, zusätzliche Ereignisse konstruiert werden, um das Interesse an der Liang schan-Überlieferung hervorzurufen. Um die Popularität der Erzählung zu steigern wurden einzelnen Häuptlingen Merkmale beliebter Helden der mündlichen Erzähltradition aber auch historischer Gestalten untergeschoben. Aufgrund von Vergleichen mit den Kreisannalen lässt sich feststellen, dass die im Roman versammelten 108 Banditenanführer historisch zu unterschiedlichen, über die gesamte Sung-Dynastie verteilte Zeiten gelebt haben. So ist etwa der Burgherr Tschai Tsin, „der kleine Taifun“, ein Abkömmling des Tschai Rong resp. des Kaisers Shih Tsung (954 – 960) aus der späten Chou-Dynastie. Bei dem Häuptling Yang Tschi, der „Wildkatze mit dem blaugrünen Gesicht“ wiederum handelt es sich um einen Nachfahren des Heerführer-Clans der Yang. Historisch unzusammenhängende Ereignisse wurden so miteinander verknüpft.
Bei einem der beiden „Oberhäuptlingen“, Sung Kung Ming oder Sung Kiang (dem „Regenspender von Schantung“, auch „Regen zur rechten Zeit“ genannt) handelt es sich eindeutig um eine historische, wenn auch dürftig dokumentierte Gestalt. Hinweise zum Rebellenanführer Sung Kiang tauchen in den Biographien der beiden kaiserlichen Feldherren der Sung-Dynastie, Hou Mong und Tschang Schu Yiä (beide sind auch Akteure der Erzählung) auf. Gemäss seiner Biographie hatte der Feldherr Hou Mong im „zweiten Jahr der Epoche Hsüan ho“ (1120) der Regierung „Hui Tsung“ (1100 bis 1126) einen alarmierenden Thronbericht erstattet, wonach der Rebell Sung Kiang mit seinen 36 Häuptlingen (die erste Garde der insgesamt 108 Häuptlingen) das Gebiet der ehemaligen Fürstentümer Tsi und Weh (nordwestliches Schantung, südliches Tschi li, südliches Schan hsi, nördliches Honan) unter seine Botmässigkeit gebracht hatte. Die stärksten Regierungstruppen vermöchten nichts gegen ihn auszurichten, seine Fähigkeiten überstiegen alles irdische Mass, das beste sei, ihn zu begnadigen und ihm Gelegenheit zu geben, sich durch die Bekämpfung des Rebellen Fang La wieder ehrlich zu machen. Daraufhin wurde Hou Mong gegen Sung Kiang in Marsch gesetzt, starb aber unterwegs. Sein Nachfolger Tschang Schu Yiä setzte eine Begnadigung für Sung Kiang und seine Leute durch und brachte ihn zur friedlichen Unterwerfung.
Diese Angaben werden bestätigt durch das halboffizielle populäre Geschichtswerk Tung kiän kang mu (unter dem Zyklus-Doppelzeichen hsin tschou, was der europäischen Jahreszahl 1121 entspricht). Der gelehrte Geschichtsglossar billigt darin dem Rebellen Sung Kiang als mildernden Umstand gnädig zu, dass er einer rechten konfuzianischen Erziehung entbehrt habe und die Begnadigung trotz der an sich todeswürdigen Taten daher zu vertreten gewesen sei. Eine weitere kurze Notiz über Sung Kiangs Eroberungen enthält „Die Geschichte der alten Kaiserstadt Loh yang“.
Drei Daten finden sich in der Erzählung selbst. Danach datiere die kaiserliche Begnadigung vom „zweiten Monat des vierten Jahres der Epoche Hsüan ho“ (1122). Der Thronbericht, den Sung Kiang dem Kaiser nach beendetem Feldzug gegen die Liao-Dynastie erstattete, datiert vom „neunten Monat des fünften Jahres Hsüan ho“ (1123). Sung Kiangs Tod fällt in das erste Drittel „des ersten Sommermonats (Mai) des sechsten Jahres Hsüan ho“ (1124).
Trotzt dieser Hinweise scheint der Aufstand von Sung Kiang – im Gegensatz zur Rebellion von Fang La ( ? – 1121) – tatsächlich keinerlei weiteren politischen Folgen nach sich gezogen zu haben.