Der jüdische, ausgebildete Schriftgelehrte Saulus/Paulus hat den Tanach gewiss nicht als Bibel bezeichnet
Natürlich nicht, er hat wie die anderen neutestamentlichen Autoren auf griechisch geschrieben. Das deutsche Wort
Bibel kommt aus dem griechischen βιβλία über lateinisch
biblia, was nichts anderes als 'Schrift(en)' bedeutet. (Eigentlich ein Plural, der aber singularisch verwendet wird.)
Apg. 17, 2, die 'Schriften', notieren lateinisch als de Scripturis, griechisch als γραφων.
Und damit meint der heidenchristliche Autor der Apostelgeschichte die heiligen Schriften - diejenigen Schriften, die im Gottesdienst vorgelesen wurden. Das Wort 'heilig' muss in der Regel nicht eigens dazu geschrieben werden, weil den Adressaten klar war, dass nicht irgendwelche Schriftstücke gemeint sind, sondern eben die heilige Schrift.
Es findet sich allenfalls in feierlicher Sprache, siehe den Beginn des Römerbriefs:
Παῦλος δοῦλος Χριστοῦ Ἰησοῦ, κλητὸς ἀπόστολος ἀφωρισμένος εἰς εὐαγγέλιον θεοῦ, προεπηγγείλατο διὰ τῶν προφητῶν αὐτοῦ ἐν γραφαῖς ἁγίαις...
Paulus, Knecht des Christus Jesus, berufener Apostel, ausgesondert zum Evangelium Gottes, das er vorausgekündet hat durch seine Propheten in den heiligen Schriften...
Die Heidenchristen hatten damals keine Heilige Schrift
Du wiederholst nur Deine steile These, eine Begründung lieferst Du nicht.
Gab es jemals nach der Urgemeinde irgendwo ein Christentum ohne heilige Schriften?
Natürlich nicht, und es gab auch keinen christlichen Gottesdienst ohne heilige Schriften. Die Schriftlesung ist bereits im 2. Jahrhundert als elementarer Teil des christlichen Gottesdienstes bezeugt. Justin der Märtyrer:
An dem Tage, den man Sonntag nennt, findet eine Versammlung aller statt, die in Städten oder auf dem Lande wohnen; dabei werden die Denkwürdigkeiten der Apostel oder die Schriften der Propheten vorgelesen, solange es angeht. Hat der Vorleser aufgehört, so gibt der Vorsteher in einer Ansprache eine Ermahnung und Aufforderung zur Nachahmung all dieses Guten. Darauf erheben wir uns alle zusammen und senden Gebete empor. Und wie schon erwähnt wurde, wenn wir mit dem Gebete zu Ende sind, werden Brot, Wein und Wasser herbeigeholt, der Vorsteher spricht Gebete und Danksagungen mit aller Kraft, und das Volk stimmt ein, indem es das Amen sagt. Darauf findet die Ausspendung statt, jeder erhält seinen Teil von dem Konsekrierten; den Abwesenden aber wird er durch die Diakonen gebracht.
https://www.uni-siegen.de/phil/kaththeo/antiketexte/ausser/13.html?lang=
Mitte des 3. Jahrhunderts bezeugt Cyprian von Karthago eine klerikale Ämterhierarchie, die auch den Lektor einschließt:
So wisset denn, daß ich den Saturus zum Lektor und den Bekenner Optatus zum Subdiakon gemacht habe. Wir hatten die beiden ja schon länger auf gemeinsamen Beschluß für die Aufnahme in den Klerus in Aussicht genommen; denn den Saturus haben wir am Ostertage schon wiederholt als Lektor verwendet und den Optatus haben wir, als wir jüngst zusammen mit den als Lehrer tätigen Presbytern die Lektoren einer sorgfältigen Prüfung unterzogen, unter die unsere Katechumenen unterrichtenden Lektoren aufgenommen, um erst festzustellen, ob sie auch wirklich all die Anforderungen erfüllen, die man an die Anwärter eines kirchlichen Amtes stellen muß. Ich habe also in eurer Abwesenheit keineswegs etwas Neues vorgenommen, sondern unter dem Zwang der Not lediglich etwas vollzogen, was schon früher in gemeinsamer Beratung von uns allen vorgesehen war.
http://prenicea.net/doc3/31414-de-01.pdf