Um keinen neuen Strang eröffnen zu müssen, schließe ich mich hier mit einer Frage an, die anderswo entstand: Wieviele Indianer gab es zwischen 1800 und 1850 im Westen der heutigen USA?
Ich kenne jedenfalls keine Statistiken, die die Bevölkerungszahlen der indianischen Ethnien in diesem Zeitraum erfaßt.
Generell ist davon auszugehen, daß Erstberichte sogen Entdecker, die Zahlen erwähnen, bereits einen teils erheblich gesunkenen Bevölkerungsstand wiedergeben, da die Bakterien der Einwanderung bzw auch der Entdeckungsreise vorauseilten. Es wird wissenschaftlich heute davon ausgegangen, daß Infektionskrankheiten bis zu 90% der ursprünglichen Bevölkerung töteten; die Überlebenden wurden durch Kriege, Entzug der Lebensgrundlagen etc weiter dezimiert.
Für die Gebiete der Westküste gilt allgemein, daß sie ursprünglich sehr dicht bevölkert waren, da die Ernährungslage außerordentlich gut war. In California wurde die indianische Bevölkerung daher zuerst durch vorher unbekannte Krankheiten dezimiert, danach durch das Einfangen und Verbringen in die spanischen Missionsstädte. Dort gab es durch Zwangsarbeit, Mangelernährung, drastische Bestrafung und unhygienische Unterbringung weitere Todesopfer (so daß in gewissen Abständen die Missionare Soldaten mit dem Einfangen neuer Bekehrungsopfer beauftragen mußten).
Nachdem Californa durch US-Amerikaner besiedelt wurde und aufgrund der Goldfunde kam es zu einer weiteren Verfolgungswelle, die über die noch verbliebenen Menschen hereinbrach (teilweise zogen Gruppen von Weißen gezielt los, um Indianer abzuschießen).
Weniger bekannt ist, daß es auch an der Ostküste gängige Praxis war, die Reste besiegter indianischer Völker in die Sklaverei zu verkaufen; bevorzugt wurden diese auf die Westindies verbracht.
Das Great Basin war dünn besiedelt; die Umwelt ernährte dort nicht viele Menschen, so daß die Ethnien in Kleingruppen organisiert waren. Im Südwesten jedoch gab es wiederum eine Vielzahl seßhafter Völker, deren Ernährungsgrundlage durch Ackerbau gesichert wurde, so daß trotz der Tatsache, daß weite Gebiete arid bzw halb-arid sind, eine große Bevölkerungszahl 'tragbar' war. Ethnien wie Dine (Navaho) und Inde (Apache) sind Späteinwanderer, die 'pre-contact' keinen Ackerbau betrieben.
Die Plains wurden erst 'post-contact' ganzjährig besiedelt; auf den Prärien gab es dagegen eine seßhafte, Ackerbau treibende Bevölkerung mit relativ hoher Kopfzahl.
Natürlich spielt ebenfalls eine Rolle bei der Nennung von Bevölkerungszahlen, daß die Gebiete der Ethnien erobert werden sollten - es ist daher durchaus vorstellbar, daß im Vorhinein Bevölkerungszahlen sehr niedrig angesetzt wurden (da sind nicht viele, mit denen werden wir schnell fertig). Bzw - auch wenn du nach dem Westen fragst - ergeben sich im Osten divergierende Bevölkerungsangaben zb daraus, von wem diese Zahlen berichtet werden (zb französischer Bericht über mit Engländern verbündete Ethnien etc).
Bis heute ist wissenschaftlich eine Debatte im Gang - es gibt sogen Low Counters und High Counters; die jeweils angenommenen Bevölkerungszahlen variieren für das gesamte Nordamerika zwischen 10 Millionen und bis zu über 100 Millionen. Etwas pauschal gesagt ist der Low Count ideologisch geprägt (Manifest Destiny, vanishing race, um nur zwei Stichpunkte reinzuwerfen), da wirkt durchaus das 19. Jahrhundert nach, während sich der High Count bemüht, tatsächliche Gegebenheiten nachzuvollziehen. Wertneutral läßt sich diese Frage in den USA wohl nicht erörtern; schon aufgrund der Implikationen nicht.
Das Feststellen genauer Bevölkerungszahlen war zwischen 1800 und 1850 nicht wirklich opportun...
Ist die Population danach wieder gewachsen? In welcher Größenordnung? Wer hat dazu Anhaltspunkte?
Meiner Erinnerung nach sind die Zahlen nach 1850 noch weiter gesunken, was auf die Lebensbedingungen in den Reservationen zurückzuführen ist. Zu einem Wiederanwachsen kam es erst in den 1920ern oder 1930ern (sorry, genauer kann ich es im Moment nicht sagen, dazu müßte ich einige Bücher durchforsten, weil ich nicht mehr genau weiß, wo ich dazu was gelesen habe).
Ich schiebe gleich noch eine Frage hinterher, die sich aus folgendem Text ergibt:
Ein Staatbürger sollte die Rechte haben, die in der Verfassung festgeschrieben sind: Wahlrecht, Eigentumsrecht, Wohnrecht usw. Das alles sehe ich bei den Indianern ebenso wenig wie bei den Schwarzen vor dem Bürgerkrieg.
Auch die Unterscheidung zwischen Stämmen, Nations, Staaten und Teilstaaten ist nicht ohne Weiteres nachvollziehbar.
Wer weiß was?
Staatsbürger sind die Indianer offiziell erst seit 1924, vorher waren sie keine. Der Status der indianischen Ethnien war und ist der einer "dependent domestic nation", was zwar einerseits ein gewisses Maß an Autonomie andeutet, jedoch auch ihre Nichtdazugehörigkeit impliziert(e). Jedenfalls insofern, daß zwar die Assimilierung des Individuums angestrebt wurde, jedoch nicht die Integration der nations.
Diese Sichtweise der dependent domestic nation begründet sich mE aus der britischen Kolonialpolitik, die zunächst die Ethnien als formal "gleichwertig" behandelte und Verträge zwischen der britischen Krone und indigenen "Königen" schloß. Andererseits bot sie auch den sich ausbreitenden USA den Vorteil, die ursprünglichen Bewohner der Gebiete einerseits als nicht zum Staatsvolk dazugehörig anzusehen - ungeachtet dessen aber auch Ethnien, die sich der Landnahme widersetzten, als "abtrünnig" zu betrachten.
Auch für den Zeitraum nach 1924 stehen die staatsbürgerlichen Rechte häufig genug auf dem Papier, wenn man zb die freie Ausübung von Religion zu diesen Rechten zählt. Der Sun Dance war bis in die 1970er verboten, die Longhouses der Nordostküste bis in die 1990er.
Ebenso war für Bewohner der Reservationen keine wirkliche Freizügigkeit in der Wahl des Wohnortes gegeben; auch durch spätere Programme (Stichwort: Relocation) nicht, die Indianern Jobs in Großstädten vermittelten (da zur Vermittlung alle Rechte als Reservationsangehöriger aufgegeben werden mußten).
Der Sprachgebrauch 'tribe' versus 'nation' ist ebenfalls nicht ideologiefrei; während es dem Selbstverständnis der Ethnien entspricht, sich als nation zu bezeichnen, stehen dem die offiziellen Benennungen der Reservationen häufig entgegen (zb Crow Creek Sioux Tribe); die sehr unterschiedlichen Konnotationen beider Begriffe liegen ja auf der Hand.
Wg Gewogenheit des Obersten Gerichtshofs:
Im Osten war man zu dem Zeitpunkt den weitaus größten Teil der indigenen Bevölkerung bereits losgeworden und konnte sich den Luxus einer gewissen Romantisierung leisten.... Bestrebungen, Recht und Gesetz anzuwenden, waren häufig genug nur Makulatur. Der bereits erwähnte Präsident Jackson hat ein für die Cherokee ergangenes Urteil kommentiert mit der Aussage: Der Richter hat geurteilt, nun soll er das Urteil auch selbst durchsetzen.
Wg Staatlichkeit/Staatsangehörigkeit:
Die Indianer waren vor 1924 keine Staatsbürger und hatten auch nicht die damit verbundenen Rechte. Für sie galten - soweit vorhanden - die mit der US-Regierung ausgehandelten Verträge bezüglich ihres Status innerhalb der USA.
Die den indianischen Ethnien 'überlassenen' Gebiete wie etwa Oklahoma galten nicht als Bundesstaaten. Oklahoma wurde als 'Indian territory' bezeichnet; es ist mE jedoch fraglich, ob mit dieser Bezeichnung auch der Rechtsstatus verbunden wurde, den zb die noch nicht an die USA angeschlossenen Gebiete besaßen, die ja ebenfalls als 'territory' bezeichnet wurden. Dabei kommt auch die ideologische Sichtweise zum Tragen, nach denen die Indianer das Land nicht 'nutzten', keine Verwaltung aufbauten etc. Wo sie dies taten (zb Cherokee, Creek nach der ersten Deportation in Oklahoma), bedeutete dies jedenfalls keine Sicherheit vor weiterer Annektion. Dein Afrika-Vergleich ist da durchaus angemessen.
Es läßt sich allein anhand staatsrechtlicher und juristischer Begriffe nicht definieren, denn Rechtssicherheit gab es für indianische Ethnien oder Personen nicht.
Dies ist bis in die jüngste Vergangenheit zu beobachten, siehe zb die Fishing Wars im Staat Washington: den indianischen Ethnien waren vertraglich Fisch- und Jagdrechte eingeräumt worden. In den 1960/70ern wurden diese Rechte durch den Bundesstaat Washington gebrochen, der Indianern das Fischen und Jagen verbot, um mehr Lizenzen an weiße Sportangler und Jäger verkaufen zu können. Anstatt die vertraglichen Rechte zu wahren, gingen Ordnungskräfte gegen die Indianer vor.