Österreich(-Ungarn) war erst 1866 ein von Deutschland (noch nicht der Staat Deutschland) "separates" Staatswesen geworden. Unter völlig anderen Voraussetzungen, damals war man eine Großmacht.
Wie kommt man denn dazu den Deutschen Bund von 1815 in irgenndeiner Form mit dem Begriff "Deutschland" gleichzusetzen?
Österreich war bis 1866/1867 ein deutscher Staat, insofern es diesem Bund angehörte, aber dieser Umstand machte doch sein Bestehen als eigenständiges staatliches Subjekt in keiner Weise "unnatürlich"/"künstlich".
1919 wurde aus der Großmacht Österreich ein Kleinstaat. Keiner glaubte, dass dieses Land existenzfähig war, die Planungen, dass Deutsch-Österreich (inkl. bestimmter böhmischer Gebiete) im Deutschen Reich aufgeht, waren mehr als konkret. Es gab m.W. keine politische Partei, die für ein selbständiges Österreich eintrat.
Mit dem Schlagwort der "Lebensfähigkeit" oder "wirtschaftlichen (Über)Lebensfähigkeit" wurde am Ende des 1. Weltkriegs einiger Unfug betrieben.
Das Land war nicht kleiner und wirtschaftlich grundsätzlich nicht schlechter aufgestellt als andere im Zuge des 1. Weltkriegs entstandene Staaten, wie das unabhängige Ungarn oder die Baltischen Staaten.
Verglichen damit stand Österreich mit seiner durchaus entwickelten Industrie eigentlich ganz gut da, das einzige Sonderproblem Österreichs war die Versorgung der Millionenstadt Wien.
Dafür alleine hätte es keinen Anschluss an Deutschland gebraucht, demgegenüber stand ja auch das Konzept "Donauföderation" und der Versuch den Wirtsschaftsraum der alten K.u.K.-Monarchie mindestens teilweise zu erhalten.
Was die Frage der Eigenständigkeit Österreichs und die Parteienlandschaft angeht, so weit mir bekannt, waren wärend der 1. Republik sowohl die Österreichischen Sozialdemokraten/Sozialisten (vor Hitlers Machtergreifung), als auch die Deutsch-Völkischen vom rechten Spektrum für einen Anschluss an Deutschland, während die Christsozialen, mindestens im Verlauf der Geschichte der Republik durchaus eine Position entwickelten, die die Eigenständigkeit positiv sahen.
Eventuell kann mich @Ravenik hier korrigieren, wenn ich da falsch informiert sein sollte.
Hinzu kommt, du beschreibst da die Ereignisse und Stimmungen von 1919.
Das war im März 1938 aber fast 20 Jahre her und es darf doch bezweifelt werden, dass man die Stimmungen von 1919 so ohne weiteres als den authentischen politischen Willen der Bevölkerung 20 Jahre danach betrachten kann.
ABER, das galt für einen Anschluss an Nazi-Deutschland. Die Regierung und die sie tragenden Gruppen, die sich in erster Linie aus dem politischen Katholizismus speiste, sah Österreich als das Gegenmodell zum Nationalsozialismus, aber immer noch als deutschen Staat.
Das mag ja sein, aber dennoch wehrte sich die Österreichische Regierung gegen eine Vereinnahmung durch das NS-Reich und zwar in Weise, dass das für die internationalen Beobachter durchaus auch sichtbar war.
Um für Österreichs Unabhängigkeit einzutreten und die österreichische Regierung beim Erhalt der Unabhängigkeit des Landes gegenüber dem NS-Reich zu unterstützen musste man also keineswegen österreichischer sein, als die Österreicher oder sich in eine Auseinandersetzung für tote Prinzipien einlassen.
Auch wenn wegen des mehr oder minder diktatorischen Regimes es keine authentischen Meinungsbilder aus Österreich mehr gab, konnte man sich doch durchaus daran orientieren, dass in Österreich so lang die Wahlen frei waren 35-40% (Nationalratswahlen) die Linksparteien gewählt hatten und von dem her mit dem Hitlerregime sicherlich nicht unbedingt einverstanden gewesen wären, während christlich soziale und konservative Gruppen die Träger des Systems Dollfuß/Schuschnigg stellten und das auch nicht wollten.
Daraus wären ebenso gute Argumente abzuleiten gewesen, dass das Österreichische Volk einen Anschluss an dieses Deutschland eben nicht wollte, wie man aus den Stimmungen von 1918/1919 dafür ableiten konnte.
Schuschnigg dürfte der unpopulärste Kanzler der I. Republik gewesen sein, gerade weil er mit "den ihm zu Gebote stehenden Mittel" einsetzte. Er war für die Wiedereinführung der Todesstrafe verantwortlich, er ließ tausende Sozialisten, Kommunisten, Gewerkschafter und Nazis einsperren.
Das mag alles richtig sein, dennoch trat Schuschnigg und die österreichische Regierung den Ansprüchen NS-Deutschlands lage so deutlich entgegen, dass man dass man wenn man hätte versuchen wollen den "Anschluss" zu verhindern, ein Interesse am Erhalt österreichischer Eigenständigkeit nicht künstlich hätte erfinden müssen.
Die grundsätzlich prodeutsche Stimmung der Österreicher war in Frankreich und Großbritannien bekannt. Wenn noch 1939 die Frage aufkam "Mourir pour Dantzig", wie wenig wären die Menschen bereit gewesen, um Österreichs Unabhängigkeit zu kämpfen?
Um Österreichs Unabhängigkeit selbst vielleicht nicht, aber gegen eine drohende deutsche Hegemonie in Zetraleuropa?
Könnter der Umstand dass die Frage "Mourir pour Dantzig" aufkam, möglicherweise auch damit zusammenhängen, dass es manchem unsinnig erschien sich ausgerechnet wegen Danzig zu schlagen nachdem man bereits Österreich und die Tschechoslowakei den Nazis geopfert hatte?
Denn vor dem Hintergrund, dass man auf einmal gegen eine deutsche Hegemonie kämpfen sollte, deren Aufbau man 2 Jahre lang geduldet hatte, obwohl man es möglicherweise hätte verhindern können, erscheint ein gewisses Maß an Konfusion ja durchaus verständlich.
Die Frage ist, wäre das auch so gewesen, wenn man vorher anders gehandelt hätte?