Polybios schreibt von den beweglichen und den unbeweglichen Feldzeichen, welche von den Insubrern aus ihren Tempeln geholt wurden, als die Römer anrückten. Livius besitze ich leider noch nicht. Gibt es andere Quellen oder Ausgrabungen, die so ein Heiligtum behandeln? Weiß man darüber überhaupt etwas? Haben Insubrer, Boier, Lingonen, usw... ihren Göttern südlich der Alpen in Tempeln gehuldigt, wie sie es wohl bei Etruskern und Griechen gesehen haben? Oder suchten sie ein Nemeton auf? Oder haben urbane Kelten wie etwa die Boier aus Felsina Tempel besucht, während die Landbevölkerung traditionellere Orte aufsuchte?
Kann das überhaupt wissenschaftlich beantwortet werden?
LG.
Hallo brigont, eigentlich bin ich mit den Ergebnissen meiner Recherchen, um deinen Fragen nachzugehen, so unzufrieden, so dass ich überlegt hatte gar nichts zu schreiben. Ich sehe die Gefahr Wissenslücken mit Nebensächlichkeiten und Nebensträngen "zuzuschwafeln", das fände ich selbst schade.
Grundsätzlich könnte ich über Analogiebildungen Hypothesen bilden, dass in Kulturräumen wie in Südfrankreich, in denen der Kulturkontakt mit mediterranen Kulturen hoch war, die keltischen Gesellschaften/Gentes auch religiös beeinflußt wurden, und zum Beispiel steinerne Tempel bauten, wie in Roquepertuse oder Entremont: Statuen, Stelen und Portica, in Roquepertuse ein mehrteiliges Portal mit einem Architrav mit herausgearbeiteten Pferdeköpfen und über dem Portal eine Plastik eines großen abflugbereiten Vogels. Das enge Zusammenleben mit der etruskischen Bevölkerung insbesondere südlich des Po gibt dieser Hypothese Halt, sie wird jedoch nicht durch archäologische Tempelausgrabungen in der Cisalpina unterstützt. Wenn Polybios Tempel sagt, könnte man schlußfolgern, dass er das keltische
témenos (für ein Bauwerk) im Unterschied zum
nemeton (Heiligen Hain) kannte, lateinisch ist nemus "der Hain" eng verwandt, und daher von Bauwerken spricht (das griechische Wort, dass Polybios verwendet, wäre da interessant, ich habe es im Internet nicht gefunden). Interessant ist der Fund eines Ecksteines in Vercelli, der eine lateinisch-gallische Bilingue trägt, die nach den Interpretationen unterschiedlicher Sprachwissenschaftler Folgendes ausdrückt:
"den Göttern und Menschen gemeinsamen (heiligen) Raum" - das könnte auch nur ein von den Ecksteinen symbolisch begrenzter heiliger Bezirk gewesen sein (Michel Lejeune, Wolfgang Meid 1989, Lambert 1994). Vercellae (bekannt durch die letzte Schacht der Kimbernkriege) war eine keltische Siedlung im Piemont.
https://rootsofeurope.ku.dk/kalender/arkiv_2012/celtic_spring/Lepontisch_WS_2010.pdf siehe Seite 34 der PDF
Der Stein ist übrigens 149 cm hoch und ca. 70 cm breit. Ansonsten fand ich leider keinen Hinweis auf eine archäologische Ausgrabung in Italien, die ein sakrales gallisches Bauwerk freigelegt hätte. Eine der aufwendigsten Ausgrabungen südlich von Bologna, eine etruskisch-keltische (boiische) Höhensiedlung Pianella di Monte Savino und der Friedhof am Monte Bibele (Universität Bologna) hat eine mögliche Interpretation für Funde auf dem Gipfel des Hügels:
"Last but not least, several finds and artificial ditches found on the peak of Monte Bibele probably indicate the existence of a sacred Celtic area."(siehe hier: The archaeological and naturalistic area of Monte Bibele )
Nach einem anderen Text könnten die Brandstätten dort allerdings auch als Signalfeuer interpretiert werden.
Zu deiner Frage brigont, ob es eine unterschiedliche religiöse Praxis von Land - und Stadtbevölkerung gegebe haben könnte, ich würde dies nicht so aufteilen, auch in der älteren etruskischen Planstadt Marzabotto:
Marzabotto (antike Stadt) – Wikipedia findet sich ein Tempelbezirk und ein Quellheiligtum möglicherweise am Stadtrand. Ähnliches findet man im gallischen Bibracte (Mont Beuvray im Burgund).
In Marzabotto fand man übrigens auf Hinweise, dass die keltische (jüngere) Bevölkerung die etruskischen Heiligtümer nutzte, gefundene deformierte Metallobjekte waren eventuell Votivgaben. Auch in Monte Bibele gab es ein älteres etruskisches Votivdepot
in dem 195 kleine Bronzestatuen gefunden wurden (ein ausgetrockneter kleiner See). Obwohl es auch dafür (für Deponierungen in Quellen, Opfern in Flüssen) Beispiele aus dem keltischen "Kernraum" gibt, endete die Nutzung dieses Depots anscheinend im 4.Jahrhundert BC.
Und dies ist ein weiterer schwieriger Punkt: die Integration oder Assimilation der Träger der Latène-Kultur in die etruskische Bevölkerung, die älteren Inschriften zeigen zum Beispiel, dass die Kelten die nordetruskische Schrift benutzten (das Latein wurde erst im 2.Jahrhundert dominant). Die historische Genese der cisalpinen keltischen Gentes ist noch nicht wirklich verstanden, es war offensichtlich keine ausschließliche Eroberung und Landnahme, wie es die antiken Schriftquellen zum Teil nahelegen, sondern waren sehr viel vielschichtigere Prozesse: Graffiti auf Tongefäßen in Gräbern von Monte Bibele machen deutlich, dass Frauen mit etruskischen Namen in den keltischen Gemeinschaften lebten -gefundene etruskische Inschriften mit Männernamen (Lathialu, Pav, Fulu) sowie viele andere Frauennamen (Petnei, Titaia, Mathuri) zeigen deutlich, dass sich diese "Einheimischen" aus mehreren Personen lokaler – etruskisch-italischer – Herkunft zusammensetzten. Einer der Schwerträger auf dem Friedhof von Monte Bibele gibt sich mit etruskischen Namen als "Einheimischer"zu erkennen: "
So enthielt die Bestattung eines 40 bis 50-jährigen Kriegers (Grab 42) zwar das charakteristische Latèneschwert, doch war dieses mitsamt Schwertscheide in untypischer Weise quer über seine Füßegelegt. Auf etruskische Bezüge verweist ein Graffito in etruskischer Schrift, das auf einer kylix eingeritzt war. Solche Inschriften erscheinen auch in anderen Gräbern vom Monte Bibele (Gräber 14, 40, 75, 87 und 103). Sie tragen die Namen der Verstorbenen und kennzeichnen diese als einheimische Etrusker." (aus NEBRINGEN, MÜNSINGEN UND MONTE BIBELE – ZUM ARCHÄOLOGISCHEN UND BIOARCHÄOMETRISCHEN NACHWEIS VON MOBILITÄT IM 4./3.JAHRHUNDERT V.CHR. Archäologisches Korrespondenzblatt 2013, RGZM). Nebringen, Münsingen und Monte Bibele - Zum archäologischen und bioarchäometrischen Nachweis von Mobilität im 4./3. Jahrhundert v. Chr.
Inwieweit hatte dies Auswirkungen auf die Religion?
Ein zweites Problem des archäologischen Nachweises ist möglicherweise die Überbauung älterer Heiligtümer in römischer Zeit.
Brescia in der Lombardei war eine Siedlung der Cenomanen, das antike Brixia war ihr Hauptort. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich dort ein zentrales Heiligtum befand. Im Jahr 89 v.Chr. wurde dort ein republikanischer Tempel errichtet, wahrscheinlich von der lokalen "postgallischen" Elite zum Anlass der Verleihung des latinischen Bürgerrechts an die Stadt gestiftet. Dieses Heiligtum mit vier Cellae wurde später mit einem flavischen Kapitolstempel überbaut. Die Civitas Camunnorum im Val Camonica (Lombardei) mit ihrem Heiligtum kann ebenso als Exempel für einen Romanisierungsprozeß dienen. Ursprünglich war das Heiligtum einheimischen Quellgöttern geweiht. Erst in der flavischen Zeit wurde ein Tempel mit der Minervastatue errichtet. Nicht nur wegen der Statue, sondern auch wegen Inschriften auf zwei Weihaltären weiß man, daß Minerva nach dem Neubau in dem Heiligtum verehrt wurde (C. Saletti, RdA 12, 1988). Ich habe Hinweise (unbelegt) gefunden, dass in der vierten Cellae des republikanischen Heiligtums in Brescia ein ursprünglich keltischer Gott verehrt worden wäre. Leider fand ich dazu keinen Nachweis. Es gibt den Fund eines weiblichen Kopfes, der wahrscheinlich einer Statue des Tempels zugeordnet werden muss( Weiblicher Kopf . Brescia, Museo della Città (Inv. MR 71). H 38 cm. Marmor). Der Kopf wurde in der Nähe der Kirche San Marco al Foro entdeckt, aber konnte keiner Göttin zugeordnet werden.
Man kann nur hoffen, dass die Archäologie zukünftige Entdeckungen liefert, wie das aus den Quellen besonders bei Titus Livius (Ab urbe condita IV, 23,25,61, V 17, VI 2) schon lange bekannte zentrale Heiligtum des etruskischen Städtebundes, das Fanum Voltumnae , welches seit einigen Jahren bei Orvieto ausgegraben wird:
Il Fanum Voltumnae: dalle divinità Tluschva a San Pietro .