Sepiola
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Mir ist natürlich klar, was du meinst, aber nur weil irgendwelche völkischen Spinner im 19. Jhdt. einen Gegenstand des Kreuzabnahmereliephs der Externsteine zur Irminsûl erklärt haben, ist das mitnichten plausibel. Ein Mythos, der aus mir unerfindlichen Gründen nicht tot zu kriegen ist, obwohl er so dämlich ist, wie er nur eben sein kann.
Je dämlicher ein Mythos, desto hartnäckiger sind seine Verteidiger. Ich bin gerade dabei, in dem 608-seitigen Buch Die Externsteine - Zwischen wissenschaftlicher und völkischer Deutung (Hrsg. Larissa Eikermann, Stefanie Haupt, Roland Linde, Michael Zelle), Münster 2018 zu schmökern.
Als Mythos muss bereits die Idee, in den Externsteinen einen vorgeschichtliches bzw. germanisches Heiligtum zu sehen, angesehen werden. Im Zuge der frühneuzeitlichen Germanienbegeisterung (Wiederentdeckung der taciteischen "Germania", erste Arminius-Biographie 1535* etc.) kam es zu fantasievollen Lokalisierungen germanischer Kultstätten, siehe z. B. den Tanfana-Tempel bei Ortelius (in der Nähe von Almelo NL):
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4e/Ortelius_Belgii_Veteris_(2).png
1564 wird erstmals bei Hermann Hamelmann im Zusammenhang mit den Externsteinen die Behauptung fassbar, Karl der Große habe aus einem heidnischen Götzenbild einen gottgeweihten Altar gemacht. Im 18. Jahrhundert tauchen immer mehr krause Hypothesen auf. Christian Gottlieb Clostermeier veröffentlichte 1824 ein Büchlein, in dem er sich mit einem Wust an "fabulös-mythischen Sagen-Aufschlüssen", "Phantasien" und "romantisch-historische Gemählden" auseinandersetzt – dazu rechnet er auch Hamelmanns Mitteilung aus einer dubiosen Quelle –, von denen ich hier nur diejenigen aufzähle, die auf Biegen und Brechen die Externsteine mit Ereignissen zu verbinden suchen, die bei den römischen Geschichtsschreibern zu lesen sind:
- Bei den Externsteinen soll Arbalo zu suchen sein, wo Drusus eingekesselt und beinahe besiegt worden wäre.
- Die Externsteine sollen die Altäre sein, auf denen Arminius nach der Varusschlacht die gefangenen römischen Offiziere den Göttern geopfert hat.
- Der Turm der Veleda soll in den Externsteinen zu suchen sein.
"Was demnach von der Verehrung heidnischer Gottheiten an, oder auf dem Eggestersteine vorgebracht wird, gründet sich nur auf Hypothesen, welche in keiner Weise gerechtfertiget werden können."
Nun zum oben erwähnten Band. Burkhard Beyer, Wissenschaft als Herausforderung, resümiert zu diesem Thema:
"Mit zunehmendem zeitlichem Abstand wird die Klärung manchmal erleichtert, manchmal aber auch erschwert. Die Historiker können dann meist kein definitives Urteil mehr fällen, aber sie bleiben aufgerufen, bei sorgfältiger Abwägung aller Argumente die wahrscheinlichste Erklärung, die der Wahrheit vermutlich am nächsten kommt, als solche auch zu benennen. Wir können keine Zeitreise zu den Externsteinen des Jahres 772 unternehmen und nachsehen, ob sich dort nun ein germanisches Zentralheiligtum mit Himmelsobservatorium und Irminsul befand oder nicht. Dennoch müssen Historiker am Ende des Tages Farbe bekennen. Und unter Berücksichtigung aller belastbaren Belege und unter Ausschluss aller Spekulationen lautet die aktuelle Schlussfolgerung, dass die Anlagen an den Externsteinen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Relikte vorchristlich-heidnischer Kulte sind, sondern durchgehend dem christlichen Mittelalter entstammen. Die Felsen selbst können durchaus schon früher ein Ort religiöser Praktiken gewesen sein, doch haben die hier ausgeführten Riten und Rituale keinerlei greifbare Spuren hinterlassen."
Auch Karl der Große bleibt nach wissenschaftlichem Stand außen vor.
Roland Linde und Ulrich Meier, Wann und in wessen Auftrag wurden die Externsteine-Anlagen und das Kreuzabnahmerelief geschaffen?
Die Anlagen an den Externsteinen sind nach allem wissenschaftlichen Ermessen Schöpfungen der Romanik zwischen der Mitte des 11. und der Mitte des 13. Jahrhunderts. Das kann auf dem heutigen Stand der Forschung mit größerer Sicherheit formuliert werden als je zuvor. Vier Disziplinen kommen mit je eigener Methodik unabhängig voneinander zu weitgehend übereinstimmenden Datierungen, deren gemeinsame Schnittmenge eben dieser Zeitraum ist. Dabei lassen sich zwei Bauphasen unterscheiden: Grottenanlage und Arkosolgrab entstanden wahrscheinlich Ende des 11., Anfang des 12. Jahrhunderts, die Höhenkammer mit der Altarnische und das monumentale Kreuzabnahmerelief als kunstgeschichtlich bedeutendster Teil der Anlagen ungefähr 100 Jahre später.
* Die Irminsul wird hier als "Arminius-Säule" gedeutet; für die Lokalisierung derselben werden zwei Hypothesen angeboten: Marsberg oder Merseburg. Dagegen ist die Lokalisierung des Saltus Teutoburgensis klar und eindeutig!
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