Eumolp
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Es gab diesen aber im 4. Jh., als der Kanon verabschiedet wurde. Sicher, auch damals gab es andere chr. Richtungen, die diesen Kanon nicht unterschrieben. Vor allem die Gnostiker fallen mir ein, aber auch die Montanisten mit ihrem Propheten und ihren beiden Prophetinnen, die Novatianer, natürlich die Manichäer und viele, viele mehr. (Was aber die Arianer / Homöousianer betrifft, die zu dieser Zeit noch wichtig waren, weiß ich nicht, welche Schriften sie als verbindlich angesehen haben. Ich denke aber, nicht stark abweichend von der Orthodoxie.)Es gibt aber bis heute keinen einheitlichen Bibel-Kanon, der von allen christlichen Konfessionen in dieser Form als "kanonisch" angesehen würde.
Was die Einheitsübersetzung betrifft, lese ich: hrsg. im Auftrag der Bischöfe Dtlands, Öst., Schweiz, Lux., Lüttich, Bozen-Brixen und (nur Psalme und NT betreffend) des Rates der Ev. Kirche in Dtland und des Ev. Bibelwerks in der BRD.Die sog. "Einheitsübersetzung" ist lediglich die "amtliche" deutschsprachige Übersetzung der Bibel gemäß römisch-katholischem Kanon.
Nun geht es aber nicht um die Frage "Gibt es einen einheitlichen Kanon im Christentum?" (Antwort: nein), sondern: "Ist das Christentum eine Schriftreligion?"
Eine schöne Definition von "Hl. Schrift" steht in wiki:
Ich würde somit auch ganz einfach sagen: eine Schriftreligion ist eine solche, die eine Hl. Schrift besitzt. Mit dieser Def. argumentiere ich.Als heilige Schriften bezeichnet die vergleichende Religionswissenschaft Texte, die für eine Religion normativ sind.
Selbst wenn es keinen Kanon gibt, dann beruhen doch alle christlichen Richtungen / Sekten auf irgendeiner Heiligen Schrift. Die Mormonen haben zusätzlich die Visionen (und Schriften) ihres Joseph Smith, die Zeugen Jehovas sind fundamentale Bibelinterpreten, haben also ihre Bibel gemäß ihrer Interpretation usw. Nur: auf das NT + AT beziehen sich alle. Da fällt vielleicht das eine Buch raus, das andere kommt rein. Die Zeugen Jehovas interpretieren die Bibel auf ihre Art, die Mormonen auf andere Art, die röm. Katholiken so, die russ. Orthodoxen anders usw. Hören sie damit auf, eine Schriftreligion zu sein? (Ganz im Gegenteil, würde ich antworten.)
Gewiss, wenn man sich die Geschichte des Christentums anschaut: eine spezielle "christliche heilige Schrift" gab es zu Anfang in der Jerusalem-Urgemeinde nicht, nur die Augenzeugenberichte. Man bemühte sich auch nicht, denn das Ende der Welt war nahe: wozu also etwas aufschreiben? Auch bei Paulus noch nicht, überhaupt wohl kaum im 1. Jh., obwohl sich da bereits die Evangelien herumgesprochen haben werden und kopiert worden sind. Die Schriften haben sich erst langsam etabliert, vorher war man auf Predigten, auf die Taufe, auf "Augenzeugenberichte" u.ä. angewiesen, und manche haben sich wohl diese Erzählungen notiert. Allerdings gab es zuvor, auch schon in der Urgemeinde, die alte jüdische Bibel, den Tanach, der im Christentum zum AT wurde. Solange sich die Urgemeinde als jüdisch-messianische Gruppe verstand, hatten also auch sie eine Heilige Schrift, nur eben keine speziell christliche Heilige Schrift.
Diese langsame Entwicklung hin zur Etablierung einer "Heiligen Schrift" gilt aber auch für andere Schriftreligionen wie den Islam. Auch bis zur endgültigen Abfassung des Korans dauerte es einige Jahrzehnte.