Hallo,
ich habe letzte Woche ein Referat mit dem Titel ,,Alfred Krupp - ein sozialer Unternehmer?'' gehalten und daraufhin in der Feedback-Phase mit einem Mitschüler über den Begriff ,,sozial'' diskutiert. Er war der Meinung, dass nach der Definiton eines sozialen Unternehmers, die wir im Unterricht besprochen haben (Unternehmer nicht nur auf seinen Profit sondern auf das Wohl der Gesellschaft bedacht) jeder Unternehmer sozial sei, weil ja jeder Unternehmer zur Wirtschaft und somit zum Wohl der Gesellschaft beitrage.
Das ist die "Eseltheorie": Wenn man dem Esel (= die Wirtschaft) vorn genug Futter reinschiebt, lässt er hinten so viel runterfallen, was noch genug Körnchen enthält, um die Spatzen (= die Gesellschaft) satt zu machen.
Dass dieser Theorie kein Naturgesetz zugrunde liegt, ist in der Geschichte menschlicher Gesellschaften tausendfach bewiesen worden. Ob die Wirtschaft zum Wohl einer Gesellschaft beiträgt, hängt nicht vom Willen der Unternehmer sondern von der Verfasstheit der Gesellschaft ab. Das feudale Wirtschaftssystem und die ökonomischen Gesetze in Sklavenhaltergesellschaften haben jedenfalls weit weniger zum Wohl der Menschen beigetragen als ein beliebiges modernes Wirtschaftssystem.
Jetzt suche ich ein möglichst passendes Beispiel eines Unternehmers der ,asozial' ist und obwohl er viele Angestellte hat garantiert nicht zum Wohl der Gesellschaft beiträgt.
Wie die vorangegangenen Beiträge schon gezeigt haben, wird es Dir auch schwer fallen, im Wirtschaftsleben Belege für das "abgrundtief Böse" zu finden. Das hängt damit zusammen, dass Schein und Sein nicht immer übereinstimmen.
Beispiel: Alfred Krupp hat zwar Wohnraum für seine Arbeiter bauen lassen und eine Art Kranken- und Sterbekasse eingeführt. Beides hat den Arbeitern genutzt. Beide Maßnahmen waren aber nicht als "soziale Wohltaten" gedacht, sondern sollten der sich formierenden Arbeiterbewegung den Boden entziehen und die Krupp-Beschäftigten so weit befrieden, dass sie bereit waren, die grundlegenden Verhältnisse zwischen Unternehmer und Arbeiterschaft nicht mehr in Frage zu stellen.
Zweites Beispiel: Kinderarbeit. In der frühen Zeit der Industrialisierung haben die Unternehmen Kinder unter 9 Jahren in Fabriken arbeiten lassen, gern auch in Bergwerken, weil Kinder so schön klein sind und auch in enge Flöze hineinpassen. Damit verdienten die Kinder Geld und trugen so zum Überleben der Familien bei, die sonst vielleicht Not gelitten hätten. Der Argumentation Deines Freundes zufolge war die Beschäftigung von Kindern demnach eine Tat zum Wohl der Allgemeinheit.
Die Realität sah aber anders aus: Tatsächlich wurden Kinder beschäftigt, weil sie billiger waren als Erwachsene. Dieses niedrigere Lohnniveau war den Unternehmern wichtiger als der Umstand, dass Kinder durch die Arbeit besonders gefährdet wurden und dass viele von ihnen in der Folge dauerhafte Gesundheitsschäden davontrugen oder verkrüppelt wurden. Das nahmen die Unternehmer billigend in Kauf. Und wir reden nicht über "bedauerliche Einzelfälle". Die Zahl der jugendlichen Krüppel und Invaliden war so groß, dass Preußen im Jahr 1839 per Gesetz die Kinderarbeit verboten (besser: stark eingeschränkt) hat.
Auch dieses preußische Gesetzt wirkt auf den ersten Blick wie eine Wohltat, die aus Sorge um die Gesundheit der armen Kinder beschlossen wurde. Auch dieser Schein trügt aber: Anlass für das Gesetz war vielmehr der Umstand, dass das preußische Militär wegen der vielen "wehruntauglichen" Kinder nicht mehr genügend Rekruten fand.
Vielleicht lag es daran, dass ich mich hauptsächlich auf die Zeit der Industrialisierung konzentriert hab, ich weiß es nicht....
Aber gerade das ist doch ein guter Ansatz! Da findest Du in unserer eigenen Lebenswelt genügend Beispiele, die einen Vergleich zwischen heute und damals erlauben: Zu Zeiten der Industrialisierung gab es hier eine "freie" Marktwirtschaft, heute gibt es eine "soziale" Marktwirtschaft. Man kann an unzähligen konkreten Beispielen deutlich machen, wie sich diese beiden Zustände voneinander unterscheiden. Man könnte zum Beispiel die Arbeitsbedingungen bei der Thyssen Krupp AG mit denen in den Werken von Alfred Krupp vergleichen. Arbeitszeitregelungen, Gesundheitsschutz, Lohnfortzahlunge im Krankheitsfall, Alterssicherung, nicht zuletzt Mitbestimmung...
All das ist nicht auf freiwilliger Basis eingeführt worden, sondern musste per Gesetz verordnet werden. Letztlich landet man also bei der Verfasstheit der Gesellschaft: Grundlage der sozialen Marktwirtschaft ist der Leitsatz, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Daraus folgt: Unsere Gesellschaft toleriert "Gewinnsucht", wenn diese Gewinnsucht im Ergebnis AUCH der Allgemeinheit nutzt oder ihr zumindest nicht schadet (z.B. durch die "Produktion" verkrüppelter Kinder). Die Wirtschaft hat der Gesellschaft zu dienen, und das ist durch Gesetze geregelt. Das war zur Zeit der Industrialisierung anders. Damals wurden die Menschen der Wirtschaft dienstbar gemacht, und es war allein dem sozialen Gewissen (oder bei Fehlen desselben eben der kalt-rationalen Weitsicht) des einzelnen Unternehmers überlassen, ob er sich für das Wohl seiner Arbeiter interessierte oder nicht.
MfG