Das ist eine sehr instruktive Grammatikstunde...
Der Kernsatz lautet:
Was ich halt extrem ungeil finde, ist, wenn man sich selbst [...] so geil findet, dass man sich selbst auf die Schulter klopft und anderen sagt, dass sie das doch bitte erst mal nachmachen sollen.
Was Sie bitte nachmachen sollen, also die historische Aufarbeitung, steht im Nebensatz.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kernsatz und
https://de.wikipedia.org/wiki/Nebensatz und um der Vollständigkeit willen noch der originale Satz:
Was ich halt extrem ungeil finde, ist, wenn man sich selbst in Bezug auf historischer Aufarbeitung so geil findet, dass man sich selbst auf die Schulter klopft und anderen sagt, dass sie das doch bitte erst mal nachmachen sollen.
wenn ich den Lehren der Grammatikstunde aufmerksam folge, dann finde ich also den "Kernsatz", wenn ich die
Unterstreichung aus dem originalen Satzgeflecht streiche - das sieht man bei der Gegenüberstellung der beiden Zitate (das erläutert diese innovative Grammatik) : Verblüffenderweise soll "
wenn man sich selbst [...]
so geil findet" also Bestandteil des Kernsatzes sein, wohingegen "
wenn man sich selbst in Bezug auf historischer Aufarbeitung so geil findet" Nebensatz ist...
Das ist wirklich innovativ und wird in Sachen Grammatik Furore machen
Verlassen wir die Grammatik, denn an deren innovative Anwendung werden wir uns nicht so schnell gewöhnen, und machen stattdessen eine fröhliche Ersetzungsprobe mit Satz:
1 -
Was ich halt extrem ungeil finde, ist, wenn man sich selbst in Bezug auf Autotuning
so geil findet, dass man sich selbst auf die Schulter klopft und anderen sagt, dass sie das doch bitte erst mal nachmachen sollen.
2 - Was ich halt extrem ungeil finde, ist, wenn man sich selbst in Bezug auf spanische Spezialgeschichte
so geil findet, dass man sich selbst auf die Schulter klopft und anderen sagt, dass sie das doch bitte erst mal nachmachen sollen.
3 - Was ich halt extrem ungeil finde, ist, wenn man sich selbst in Bezug auf Koranauslegung
so geil findet, dass man sich selbst auf die Schulter klopft und anderen sagt, dass sie das doch bitte erst mal nachmachen sollen.
4 - Was ich halt extrem ungeil finde, ist, wenn man sich selbst in Bezug auf Satzbau
so geil findet, dass man sich selbst auf die Schulter klopft und anderen sagt, dass sie das doch bitte erst mal nachmachen sollen.
Ganz offensichtlich ist die Satzstruktur bei diesen Ersetzungsproben erhalten geblieben. Ganz offensichtlich ändert sich der Inhalt des Satzes, wenn man einen inhaltlich relevanten Bestandteil austauscht
"wie erstaunlich" (Flaubert)
Es geht auch gar nicht um Grammatik, um Linguistik, um Spitzfindigkeiten, um Satzbau, sondern es geht um die Angemessenheit einer Ausdrucksweise, wobei völlig irrelevant ist, ob sich diese in einem Haupt- oder Nebensatz befindet: konkret um die Verwendung von "geil"/"ungeil" im Kontext mit - erraten! Im Zusammenhang mit historischer Aufarbeitung (muss ich erläutern, welche spezielle Aufarbeitung gemeint ist?). Wenn wir nun die vier Ersetzungsproben hinsichtlich der Verwendung von "geil"/"ungeil" in Bezug die vier bzw. mit dem Original fünf inhaltlich relevanten Bestandteile betrachten: sind da in Sachen Angemessenheit Unterschiede? für mein Empfinden: ja. Bei 1 und 4 wäre es mir Wurscht, bei 2 und 3 halte ich es für unpassend, im "Original" auch.
Letztlich scheint auch der Verfasser des Originals in diese Richtung zu empfinden, denn er wehrt sich vehement dagegen, dass ihm seine Verwendung von "geil"/"ungeil" in inhaltlichem Zusammenhang mit der Aufarbeitung unter die Nase gerieben wird. Aber das hat nun mal stattgefunden, ist oft genug wörtlich und ohne Verdrehungen zitiert worden. An dieser Stelle verzichte ich darauf, nach seinem Vorbild wie in
#558 Turgot gegenüber zu "argumentieren".
Dabei wäre die ganze Chose so einfach zu beseitigen, übrigens mittels einer Art Ersetzungsprobe:
Was ich halt verwerflich finde, ist, wenn man sich selbst in Bezug auf historische Aufarbeitung so maßlos glorifiziert, dass man sich selbst auf die Schulter klopft und anderen sagt, dass sie das doch bitte erst mal nachmachen sollen.
(siehe #574) Und diesem Satz kann ich guten Gewissens zustimmen, insbesondere dort, wo das stattfindet, was er zum Ausdruck bringt. Aber wie schon oft genug gesagt: das war in den Beiträgen der letzten Tage hier nicht der Fall (was schon daran erkennbar ist, dass auf Nachfragen kein Nachweis kam)
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vielleicht könnte man zum Thema zurückkommen.
da bin ich gespannt, im von dir
@Carolus verlinkten Interview fand ich dieses Zitat treffend:
Auf der einen Seite ja, natürlich, weil dadurch ganz klar wird, dass die regierende Gruppe in Polen überhaupt nicht an der wissenschaftlichen und sinnvollen Aufarbeitung von bestimmten Tabus oder weniger angenehmen Teilen der Vergangenheit interessiert ist. Paradoxerweise führt dieses Gesetz aber genau zum Gegenteil, dass nämlich im Ausland und auch in einem kritischen Teil der Gesellschaft in Polen genau darüber wieder diskutiert wird. Die Welt wird ja geradezu darauf hingestoßen, auf dieses Thema polnische Mittäterschaft oder polnische Mitverantwortung für einen Teilbereich dessen, was im Zweiten Weltkrieg geschehen ist. Dieser Versuch, den guten Namen Polens in der Welt durchzusetzen, hat genau zum Gegenteil geführt – völlig absurd. Aber das ist populistische Politik, die nicht bedenkt, was man im Ausland anrichtet mit dem, was man tut, sondern die nur auf die innenpolitische Szene blickt, und da hat man vielleicht erst mal ein bisschen Erfolg, wenn man die eigenen Scharen eint und mit nationalistischen Diskursen versucht, die Anhängerschaft der PiS zu einen. Aber auf mittlere und längere Frist wird das katastrophale Folgen haben./QUOTE]