Ich denke ein wichtiger Punkt für den Untergang der Zünfte war die von Scorpio bereits genannte Gewerbefreiheit. Sie trat in Preußen im Zuge der Stein-Hardenbergschen Reformen 1810 inkraft.
Das Textilgewerbe ist sicherlich ein Paradebeispiel für die Industrialisierung. Aber ich weiß nicht, ob es auch ein gutes Beispiel für den Untergang der Zünfte ist. Das Verlagswesen war in dieser Branche bereits vor der Industrialisierung und der Gewerbefreiheit verbreitet. Zünfte bestimmten Preise und Produktion in einem Ort. In einem überortlichen Verlagssystem kam diese Rolle eher dem Verleger zu. Der Webermeister wurde früh zum Lohnempfänger.
OT: Zum Thema "Die Weber" fällt mir Gerhart Hauptmanns Drama ein.
Das sagte ich ja auch in meinem Beitrag, dass die Zünfte bereits im 16. und 17. Jhd zu Interessenvertretungen der wohlhabenden Meister verkamen. Wolle außerhalb der Stadtgrenzen bei Schäfern zu kaufen, war vielerorts von der Zunft verboten oder die armen Meister hatten nicht genug Geld dazu und mussten sich von Kaufleuten das Geld/die Wolle leihen. Andererseits durfte ein Meister nur eine bestimmte Menge an Tuch im Monat weben. In Nördlingen und anderen oberdeutschen Städten waren Lodenweber gezwungen, die Zunftmarken zu fälschen und mehr Tuche zu weben, als die Zunftordnung erlaubte, um diese dann heimlich ellenweise außerhalb der Stadt zu verkaufen.
Trotzdem blieb die Zunft ein elementares Identifikationsmodell für die Handwerker, mochte ein armer Meister auch die Zunftoberen verfluchen. Soziale Kontakte wurden anlässlich von Veranstaltungen geschlossen, die die Zünfte veranstalteten, der Beruf wurde vom Vater auf den Sohn weitergegeben, es gab einen über Generationen tradierten Kulturcode, und auf seinen Meister- oder Gesellenbrief, auf sein erlerntes Handwerk, auf alte Traditionen war man stolz, und jeder Stand hatte seinen Ehrencodex, selbst die Bettler und Gauner. es war allerdings eine abgestufte, trennende Ehre. Sie gab Menschen Sicherheit, weil sie jedem seinen Wert, seine "Ehre" bescheinigte. Das sorgte für Stabilität, aber auch für gesellschaftliche Verkrustungen, Dünkel und Leid. Friedrich Hebbel, der durch die Lektüre von Hegel geschult ein feines Gespür für Zeitströmungen hatte, greift in seinem Drama Maria Magdalena den Umbruch der alten Welt.
Der Schreinermeister Anton hält an seiner Handwerkerehre fest. Im Wirtshaus lässt er den Gerichtsdiener Adam kalt abfahren und verweigert ihm Gruß und Gesellschaft, als dieser sich an seinen Tisch setzen will:
"Leute im roten Rock mussten ehemals draußen vor dem Fenster bleiben und bescheiden den Hut abziehen, wenn der Wirt ihnen den Trunk reichte. wenn sie aber ein Gelüst zeigten, mit jemandem anzustoßen, so warteten sie, bis der Gevatter Fallmeister (Der Scharfrichter) vörüber kam."
Der Gerichtsdiener Adam rächt sich darauf später, indem er den zu Unrecht eines Diebstahls beschuldigtem Sohn des Meisters die Straße auf und ab führt und damit entehrt, womit er auch dem Vater die öffentliche und private soziale Lebensgrundlage zerstört.
https://de.wikipedia.org/wiki/Maria_Magdalena