Ich behaupte nicht, dass Kranzmayer keine Fehler gemacht hatte. Er korrigiert sich auch selbst (vergl. § 20 der von mir geposteten Kopien), in dem er zugibt, dass er früher in Bezug auf die Romanität in Kärnten anders gedacht hatte. Außerdem: Wer arbeitet schon absolut fehlerfrei?
Niemand wirft Kranzmeyer vor, dass er Fehler gemacht hat. Auf einer als fehlerhaft erkannten Interpretation kann aber nun mal keine weitere Argumentation aufbauen. Das ist wie im Matheunterricht: Wenn du einmal einen Rechenfehler gemacht hast, mögen zwar alle weiteren Rechenschritte richtig ausgeführt sein, das Endergebnis wird dadurch aber nicht richtiger.
So wurde in diesem Thread behauptet, das weitgehende Fehlen der römischen oder romanisierten Namen im Innernorikum sei der planmäßigen Räumung des Norikum geschuldet, d.h. die eingewanderten Slawen fanden ein Land vor, in dem nur wenige römische oder romanisierte Menschen lebten, von denen sie die lateinische Namen übernehmen könnten. Und nun wird hier Otto Kronsteiner zitiert mit: Die These der "Romanenauswanderung" ist aufgrund der Toponymie nicht mehr aufrechtzuerhalten. Der Tod Severins (482) bedeutet nicht das Ende der Romanität Noricums."
Das besagt doch nur, dass das Noricum nicht völlig entvölkert wurde und auch die übrig gebliebenen Altsiedler weiterhin romanisch sprachen.
Was tatsächlich geschrieben wurde:
Was sagen uns die historischen Quellen? Die Vita Sancti Severini spricht von der Deportation der romanischen Bevölkerung aus dem Noricum nach Italien unter Odoaker. Von einer keltischen Bevölkerung ist dort keine Rede. Das Pseudo-Maurikion spricht ebenfalls von einer lateinisch-sprachigen Bevölkerung in der Region.
Die einleuchtendste Erklärung für das Verschwinden so vieler Ortsnamen aus der römischen Zeit wäre der drastische Bevölkerungsschwund, von dem ja schon die Rede war.
Es sind ja (vor allem im Osten Österreichs) nicht nur romanische Ortsnamen verschwunden, sondern auch fast alle vorrömischen/keltischen Ortsnamen. Was an keltischen Namen erhalten ist, sind meistens Flussnamen (Enns, Sulm, Kamp), und die beweisen in diesem Zusammenhang nichts.
Da, wo vorrömische Ortsnamen erhalten sind, wurden sie in in romanisierter Form weitergegeben:...
die Vita Sancti Severini geht im Prinzip von einer rein christlichen romanischsprachigen Bevölkerung vor der Deportation nach Italien aus und auch die Germanen jenseits der Grenze werden bei aller Ihnen zugeschriebene Barbarei als Christen bzw als in einem Christianisierungsprozess befindlich beschrieben.
Für mich ist die Erklärung Kranzmayers einleuchtend, dass die verschieden klingenden Namen in verschiedenen Sprachen mit gleicher oder annähernd gleicher Bedeutung größeres Gewicht haben als lediglich die gleich klingenden.
Das ist auch generalisiert gesprochen richtig. Wenn ein Ort in seiner Geschichte mehrere Sprachwechsel erlebt und dabei jedesmal umbenannt wird, diese Umbenennungen aber die gleiche Bedeutung haben, dann handelt es sich um Lehnübersetzungen:
Ein Beispiel wäre Grünberg :rechts: Zielona Góra. Gut, da könnte man noch sagen, dass dieselben topographischen Merkmale natürlich leicht zu demselben Namen führen. Nehmen wir also Hirschberg :rechts: Jelenia Góra.
Ein anderes Bsp. wäre das rumänische Alba Iulia, ein Kunstname für Bălgrad, aus einer Zeit, in der man in Rumänien gerne die römische Herkunft betonte und das slawische Element am liebsten vergessen haben wollte. Deutsch hieß die Stadt Weißenburg, ungarisch Fehérvár, die Bedeutung in der slawischen, ungarischen und deutschen Variante ist jeweils dieselbe, das rumänische Kunstprodukt dagegen hat zwar mit
Alba das weiß erhalten, mit
Iulia aber versucht, den Ortsnamen zu historisieren. Ob Bălgrad, Fehérvár oder Weißenburg, es handelt sich um Lehnübersetzungen voneinander. Lehnübersetzungen setzen aber ebenso eine Bevölkerungskontinuität voraus, wie die lautliche Verwandlung eines Stadtnamens im Laufe seiner Geschichte.
Lat.
Septem (
Fratres) :rechts: arab.
Sabta :rechts: port./span.
Ceuta
Iber./lat.
Hispalis/
Hispalia :rechts: 1. Jhdt. n. Chr.
Ispale/
Ispalia > arab. Išbīlīa > iber. mlat. Sibille > span. Sevilla (arabisch wiederum als Variante
سيفييا Sīfīyā, im ägyptischen Wikipedia-Artikel als
سيبييا Sībīyā oder sogar
سيڤييا wiedergegeben, wobei das
ڤein Buchstabe ist, der im Arabischen gar nicht existiert.)
Einen Zusammenhang zwischen Septem und Ceuta oder Hispalis und Sevilla würde man als Laie, ohne Kenntnisse der historischen Zwischenformen gar nicht erkennen.
Und sinngebende Pseudoetymologien, wie beispielsweise bei der niederländischen
Hangmat aus dem französischen
hamac oder britischen
hamoc, aus dem karibischen über das spanische vermittelten
hamaca sind hier noch gar nicht berücksichtigt. Auch die können, wie an hamac :rechts: hangmat gut erkennbar, leicht zu Modifizierungen führen, welche die eigentliche Etymologie eines Wortes verschleiern.
Ich finde die Überlegungen Kranzmayers (vergl. Seite 42) zu dem Namen Walch bzw. slov. (V)Lah einleuchtend. Das Wort Lah bedeutet/e im Slowenischen früher wie auch heute so viel wie das Wort „Welsch“ früher (und teilweise noch heute) im Deutschen
Die Slowenen werden eher mit den ihnen benachbarten Balkanromanen (
Walachen, Wlachen) als mit Walisern in Berührung gekommen sein. Weshalb eine Herleitung Kranzmeyers des slowenischen (
v)
lah als 'keltisch' gegenüber der Deutung als 'romanisch' eindeutig abzulehnen ist.
- Zitat aus
Wikipedia:
Um die Zeitenwende wurde dieser Name von germanischen Sprechern verallgemeinernd auf alle Kelten übertragen.
Das Wikipedia-Zitat führt uns nicht wirklich weiter. Wir haben keinen Beleg für den Begriff
welsch im Germanischen der Zeitwende. Die frühesten Belege für dieses Wort im Althochdeutschen bezeichnen schon die Römer.
Der Name ist in einigen germanischen Sprachen eine Bezeichnung für diverse keltische Volksgruppen, etwa bei den Angeln, Jüten und Sachsen, die im 5. Jahrhundert die Insel Britannien besetzten und auf die dortige keltische Bevölkerung trafen: westsächsisch wilisc, wylisc, anglisch und kentisch welisc, wælisc, angelsächsisch walh oder wealh. Die Wurzel findet sich beispielsweise in Namen wie Wales (bzw. welsh, „walisisch“) und Cornwall wieder.
Eben:
Dort,
wo eine
frühmittelalterliche nordwestgermanischsprachige Bevölkerung auf eine sich selbst als gälisch bezeichnende Bevölkerung traf, sprach sie von einer welschen Bevölkerung.
Bei dem letzten Teil des Wikipedia-Zitats erlaube ich mir mal nur Hervorhebungen:
Spätestens nach dem Ende der Antike bezeichnet der Ausdruck zunehmend auch Romanen. Auf dem europäischen Festland waren bis zum Zusammenbruch des Weströmischen Reiches nahezu alle Kelten romanisiert worden; die germanische Bezeichnung für diese Völker blieb jedoch weiterhin dieselbe und erweiterte sich auf Romanischsprachige ohne nähere Differenzierung.
Wie gesagt, der Wikipedia-Artikel ist hier arg fragwürdig. Denn es gibt vor dem frühen Mittelalter keinen Beleg der Begriffsverwendung.
Unausgesprochen basiert diese Behauptung auf der Vorstellung, der Begriff welsch basiere auf dem keltischen Stammesnamen
Volcae.
Besser wäre hier wohl mal ins RGA zu schauen (Reallexikon der germanischen Altertumskunde), allerdings nicht in die vierbändige Reiche der 1920er Jahre, sondern in die neuere 35bändige.
Man muss sich nur vergegenwärtigen, dass nach neuerlicher Christianisierung ab dem 8. Jhdt. die heidnischen Riten und Bräuche vornehmlich in abgelegenen Gebieten bis ins Hochmittelalter praktiziert wurden, was z.B. dazu führte, dass 1184 der Papst Lucius III. in seiner Bulle
Ad abolendam die Bischöfe anwies, 2 bis 3 Mal jährlich die Pfarreien zu besuchen,
„von denen die Rede geht, dort wohnten Häretiker, und drei gut beleumundete Männer oder notfalls die ganze Nachbarschaft (viciniam) schwören lassen, daß sie Häretiker, Teilnehmer geheimnisvoller Versammlungen und solche, die sonst von christlichen Sitten abweichen, anzeigen werden;“.
Es geht dabei um
Häretiker, nicht um Heiden oder heidnisch-christlichen Synkretismus. Es geht um Leute, wie Bogumilen oder Katharer, die aus katholischer Sicht eine falsche Leere aus der Bibel zogen. Wenn kirchliche Würdenträger heidnisches anzuprangern hatten, dann haben sie es auch so benannt:
paganus.
...dass z.B. auf dem Hemmaberg trotz der dort inzwischen errichteten Kirchen auch die keltische Gottheit Iouenat weiter (heimlich) verehrt wurde, was sich nach der Landnahme durch Slawen (verstärkt?) fortsetzen könnte.
Die Slawen haben also plötzlich einen keltischen Gott verehrt?
Mit deinem "heimlich" und "es ist nicht auszuschließen" enthebst du dich gewissermaßen der Historikerpflicht in den historischen Quellen Belege oder doch zumindest belastbare Indizien für deine Hypothese zu finden.
Deswegen ist es nicht auszuschließen,...
Die Frage ist eher, ob es für diese deine Vorstellung einen
Beleg gibt.
Bisher haben wir, wenn wir den Thread mal zusammenfassen, folgendes: Eine hypothetische Kontinuität eines heidnischen Heiligtums ohne Beleg trotz Überlieferungslücke und deutlicher christlicher Anwesenheit, eine hypothetische Rekeltisierung ohne Beleg nach Jahrhunderten römischer Herrschaft, und eine hypothetische Verstärkung des nur noch hypothetisch existierenden keltisch-heidnischen Elements durch die Zuwanderung der Slawen.
Versteh mich nicht falsch: Ich habe überhaupt nichts gegen eine christliche Nutzung heiliger heidnischer Stätten einzuwenden. Weder, dass dies absichtsvoll geschah ("unser Gott ist mächtiger als eure", "wir besetzen euren Kultplatz"), noch dass dies zufällig geschah, etwa weil ein mehrfach genutzter Kultplatz einfach verkehrsgünstig lag oder die Landschaft das ästhtische Befinden religiöser Menschen an einem Ort besonders ansprach. Ich kenne auch Beispiele aus Bolivien, wo Kirchen in lokale existierende präkolumbische Kulte einbezogen werden, auch architektonisch. Synkretismen gibt es durch die gesamte Kirchengeschichte.
Worum es mir geht, das sind belastbare Belege ohne Hilfshypothesen.