Trotzdem geht es mir nicht ganz in den Kopf, wie Feudalherren unter Fahnen in die Schlacht reiten konnten, auf die sich die Böhmen Thesen geschrieben hatten, die von Lenin verfasst worden sein könnten. Oder, umgekehrt, wieso der "Anachronismus" des Adels von den Revolutionären geduldet wurde.
Warum geht das nicht in den Kopf?
Wenn man sich den Verlauf der Geschichte näher anschaut, würde ich meinen, finden sich ene ganze Menge revolutionärer Ereignisse, bei denen die Umstürzler, bzw. die Riege von deren Anführern, sich aus Persönlichkeiten zusammensetzte, die in der formals vorherrschenden Gesellschaftsordnung
Wenn man an der Stelle Lenin als Kuriosum bemüht, lohnt es sich vielleicht sich dessen biographischen Hintergrund mal anzuschauen.
Sein Vater hatte es zum Schulinspektor im Gouvernement Simbirsk und in den erblichen Andelsstand geschafft, die Familie war durchaus begütert. Er konnte, wenn auch wegen der vorherigen Aktivitäten seines Bruders nicht in Petersburg, studieren und hätte sich von dem her, was er von Hause aus mitbrachte mit der altrussischen Gesellschaftsordnung eigentlich blendend arrangieren können müssen.
Natürlich, da war die Hinrichtung des eigenen Bruders und ein entsprechendes Rachebedürfnis gegenüber dem Zaren, aber eine Erklärung, warum ausgerechnet jemand mit solchem Hinterdrund sich in den Kopf setzte die gesamte Sozial und Wirtschaftsordnung kippen zu wollen.
Und die Frage kann man im Prinzip 1:1 auf die gesamte Führungsriege der Altbolschewiki und Oktoberumstürzler übertragen.
Warum hätte späten Mittelalter eine Bewegung, die an den sozialen Verhältnissen etwas ändern wollte, ganz grundsätzlich für die Abschaffung des Adels eintreten sollen?
Ich finde die Annahme macht eigentlich relativ wenig Sinn.
Im ausgehenden 18., im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert und je nach Verfasstheit der Gesellschaft, ist das nicht weiter verwunderlich.
Schaut man sich die Verhältnisse um die französische Revolution an, bildet sich langsam ein Staatsaparat heraus , der die alten Funktionen des Adels im Prinzip übernahm dessen interne Sozialhierarchie den Weg zum Aufstieg für nicht adelige Funktionsträger nach wie vor blockierte oder wenigstens erschwerte
Währenddessen gibt es in dem Zusammenhang noch einen mehr oder minder völlig funktionslos gewordenen höheren Hofadel, der im Prinzip nicht mehr benötigt wird, dem aber Abgaben abgetreten werden müssen.
Das unter diesen Umständen, weite Teile der Bevlkerung und der Revolutionäre dieser Form von Adelsgesellschaft überdrüssig waren, weil dieser Adel im Prinzip nichts wichtiges mehr zu tun hatte, aber massiv an finanziellen Mitteln verschlag, während es der Bevölkerung materiell nicht gut ging, nimmt nicht Wunder.
Das es für die aufstrebenden Teile des Bürgertums ein extremes Ärgernis darstellte, in der staatlichen Hierarchie gegen einen abgeschotteten Adel nicht weiter zu kommen, obwohl Qualifikationen und die finanzielle Grundlage sich weiter zu bilden etc. absolut gegeben waren, der Übergang zu einer deutlich mehr meritokratisch ausgerichteten Gesellschaft also im Prinzip nur durch das tradierte Geburtsrecht einer weitgehend funktionslos gewordenen Kaste blockiert wurde, während die materiellen Grundlagen für eine andere Ordnung aber im Prinzip gegeben waren, nimmt nicht Wunder.
Von einer funktionslos und in materieller Hinsicht zunehmend parasitär werdenden, überkommenen Klasse kann beim, im Besonderen auch niederen Adel am Ende des Mittelalters, bzw. am Beginn der Neuzeit aber eigentlich nicht die Rede sein und vor allem auch nicht, dass es zu dieser Ordnung, im Besonderen in ländlicheren Gegenden, irgendwelche greifbaren Alternativen gegeben hätte.
Aus dieser Perspektive betrachtet:
Warum ist es so schwer vorstellbar, dass man, auch mit umstürzlerischen Absichten bereit war den Adel als sozial herausgehobene Gruppe weiterhin zu akzeptieren, nachdem man möglicherweise auf seine Funktionausübung als Gerichtsherr oder als im kleineren Sinne, bewaffnete Macht um Verbrechen entgegen zu wirken, durchaus noch angewiesen war, weil es keine institutionalisierten Apparate gab um das abzulösen und auch keine hinreichende materielle Grundlage solche Aparate zu schaffen?
Warum also innerhalb der Reform-/Umsturzbewegung keine Adeligen dulden, die die Sache mittragen, nachdem man auf sie ohnehin nicht gänzlich verzichten kann, wenn sie sich bereit erklären bestimmte materielle Härten abzuschaffen und Gewissensfreiheit zuzugesehen?
Und dann kommt es auch noch mal drauf an, wie sich der lokale Adel einer Landschaft eigentlich zusammensetzte, wie abgeschottet und wie aufnahmefähig er gegenüber Aufsteigern war.
Wie es sich damit in Böhmen und den Nebenländern zur Zeit der hussitischen Aufstände verhält, weiß ich nicht. Ich habe verschiedentlich gelesen, dass während des Mittelalters hohen Mittelalters im angerenzenden Königreich Polen der Adelsstand bis zu 10% der gesamten Bevölkerung gestellt haben soll.
Ich kann an der Stelle die Richtigkeit dessen nicht belegen und die Richtigkeit einmal vorausgesetzt, weiß ich auch nicht, ob das eine speziell polnische Angelegenheit ist, oder generell ein westslawisches oder ost-mitteleuropäisches Ding, dass sich vergleichbar auch in Böhmen und Ungarn finden würde. Allein ich halte es für denkar.
Und wenn das so zutreffen sollte, wäre das ein Hinweis darauf, dass angesichts der nummerischen Ausdehnung der niederen Adelsschicht, die Übergänge zwischen Adeligen und Nichtadeligen hier relativ fließend gewesen sein könnten.
Dann würde sich zusätzlich noch die Frage stellen, warum eine Schicht abschaffen wollen, der man vielleicht selbst nicht angehört, in die man aber möglicherweise aufsteigen kann.