Vielleicht noch ein paar Hinweise zum mittelalterlichen Weltbild im weiteren Sinne, wie es sich mir darstellt (in Kurzfassung):
– Die mittelalterliche Gedankenwelt der Mehrheit der Bevölkerung war nie vollständig christlich, sondern ein Gemisch aus christlichen Vorstellungen und älteren Traditionen (Fasenacht, Hexenglaube, Schimmelreiter, böser Blick, Zaubersprüche usw.). Dazwischen mischen sich andere Religionen und Ketzereien, Paulikianer, Katharer, Judentum, Manichäismus und anderes.
– Im Adel herrscht eine teilweise noch vorchristlich geprägte Kriegerideologie, Turniere, Minnesang, Frauendienst. Das Nibelungenlied ist nur christlich übertüncht, man geht in die Kirche, um Streit anzufangen. Dazwischen immer wieder Anfälle heftiger Religiosität, beim Beginn der Kreuzzüge etwa. Solche Ausbrüche von Religiosität findet man bis weit in die Renaissance und darüber hinaus, man denke nur an den Erfolg von Savonarola in Florenz.
– Die christliche Religion wird meist als Polytheismus verstanden und praktiziert. Die frühen Kirchenbauten sind Heiligen und Märtyrern gewidmet. Man betet nicht zu Gott, sondern zu Heiligen und vor Reliquien. Der Byzantinische Bilderstreit war möglicherweise eine Reaktion auf diese Art Polytheismus. Dazu kommen Fetischismus und krude Zauberei, Grabräubereien, um an die Knochen von Heiligen zu gelangen, Knochensplitter und Zähne als Amulette und dergleichen. Katholizismus und Ostkirchen sind bis heute noch in vieler Hinsicht Polytheismus und Fetischismus, Heiligen- und Ikonenverehrung, Schwarze Madonna von Tschenstochau, Blut schwitzende Bilder und Statuen.
– Dann der oft schiefe Blick auf die Antike, karolingische Renaissance, Alexanderromane, Vorstellung vom Fortbestand des Römischen Reiches, Romzüge der deutschen Herrscher, Aristotelismus und Legalismus an den frühen Universitäten.
So ungefähr. Das alles müsste man noch zeitlich und geographisch aufteilen.