Die Frage ist, welche konkreten Informationen Al-Adrisi über die Quellflüsse des Nils hatte. Aus diesem Gebiet zweigt ja nicht nur der Nil ab, sondern ein zweiter riesiger Fluss, der westwärts fließt und in den Atlantik mündet.
Das könnte der schon seit Herodot vermutete "transsaharische"Nil sein, eine Verbindung zwischen Niger und Nil, bzw. die Vermutung, dass der Niger eigentlich der Oberlauf des Nils wäre (zum Beispiel deswegen, weil in beiden Füssen Krokodile angetroffen wurden). Herodot erzählt eine Expedition von Nasamonen (Stamm an der lybischen Mittelmeerküste), die er in Kyrene gehört hätte. Diese Expedition endete an einem Fluss:"sie führten sie durch weite Sümpfe hindurch, und endlich kamen sie in eine Stadt, inder alle Menschen klein waren wie ihre Führer und von schwarzer Farbe. Und an der Stadt vorbei floss ein großer Strom von Westen nach Osten, und in ihm sah man Krokodile." Herodot,2,32. Herodot fügt diesen Bericht in sein Weltbild ein, und setzt ihn parallel zu den von ihm vermutet "ganz Europa" durchfließenden Istros (Donau):"Jenen vorbeifließenden Strom aber hielt Etearchos für den Nil, und die ganze Erzählung beweist es ja. Denn der Nil kommt aus Lybien (nicht das heutige Lybien, Anm.) und durchschneidet Lybien, und wie ich vermute - ich erschließe das Unbekannte aus dem Bekannten - , läuft der Nil in der gleichen Himmelsrichtung wie der Istros."Herodot 2,33.
Die von den Nasamonen besuchte Stadt könnte Tombouze gewesen sein, die Vorläufersiedlung Timbuktus (um 500 v.Chr.. gegründet). Für die Atlantikmündung des großen Stromes könnte es auch eine Erklärung geben: Euthymenes vermutete, dass das Wasser des transsaharischen Nils von Atlantikwinden landeinwärts getrieben wurde; Euthymenes hatte im 6.Jhdt. BC die Mündung des Senegal entdeckt, und hielt diesen aber auch wegen der Ähnlichkeit der Tier-und Pflanzenwelt für die "Mündung" des Nils - seine reale Beobachtung, dass das Süßwasser des Senegal bei Passatwinden rückgestaut wird, sollte damit gleichzeitig die ägyptischen Nilschwemmen erklären (was zur Folge hat, dass er eine Erklärung finden müsste, warum in Ägyypten aus klarem Ozeanwasser sedimentreiches Süßwasser geworden ist...).
Interessanterweise fehlt der transsaharische Nil bei der von jchatt eingestellten Weltkarte des Ptolemeios. Dort bezeichnet der Name Niger einen Fluss südlich des Atlasgebirges.
Arabische Geographen wie Abd al-Hassan Ali ibn Omar, Ibn Battuta,Abu al
-Fidanahmen jedoch an, dass Senegal und Niger einen zusammenhängenden von West nach Osten fließenden Fluss bildeten, und nannten ihn den "westlichen Nil", oder den "Nil der Schwarzen" . Hrbek, I. (1992)
Africa from the Seventh to the Eleventh century. University of California Press