Ich weiß ja nicht so recht, auf was du hinaus willst, aber Begriffe wie "Selsbtbestimmungsrecht" sind doch eher neueren Datums, nach "authentischer politischer Willensbekundung" wurde eher selten gefragt.
Die Begrifflichkeit des Selbstbestimmungsrechts ist sicherlich nicht neueren Datums als die Zwischenkriegszeit. Letztendlich hat die Argumentationsfigur auf der Pariser Friedenskonferenz, die ja zur gleichen Zeit stattfand, wie die Westukrainische VR bestand durchaus ihre Bedeutung gehabt.
Und auch dass etwa von britischer Seite her, was den Zuschnitt des neuen polnischen Staates angeht im Rahmen der Curzon-Line als Vorschlag hierzu Ostgalizien weitgehend ausgeklammert wurde, war sicherlich kein Zufall.
Nein, gefragt wurde die Bevölkerung nicht, weder als sich Polen dieses Gebiet 1919 nahm, noch als die Sowjetunion es sich 1945 nahm.
Eben die Tatsache dass da nicht gefragt wurde gibt in diesem Kontext aber durchaus die Handhabe die Rechtmäßigkeit dessen mal sehr deutlich zu hinterfragen, was, wie ich jedenfalls meine für die Frage ob für den Nachmaligen Verlust des Gebiets eine Kompensation angemessen sei insofern von Bedeutung ist, als dass es eher wenig Argumente dafür gibt, sich in seinen Rechten verletzt zu sehen, wenn man etwas verliert, dass man sich zuvor möglicherweise unter eher fragwürdigen und illegitimen Umständen angeeignet hatte.
Du findest, dass man sich in Ostgalizien nicht als Ukrainer bzw. der Ukraine zugehörig fühlte? Hast du dafür Belege?
Das habe ich keinesfalls behauptet.
Was ich aber durchaus behaupte ist, dass man mindestens in 1917-1919 in Ostgalizien offensichtlich der Meinung war, das man selbst als Westukrainische VR authentischer Vertreter der eigenen Interessen sei und dass man die Regierung der "Ukrainischen SSR", zunächst mit Sitz in Charkow/Charkiw offensichtlich nicht die legitimen Vertreter ukrainischer Interessen oder jedenfalls westukrainischer Interessen hielt, denn sonst hätte man ja mit dieser kooperiert und von Anfang an auf einen Anschluss an die RSFSR/USSR hingearbeitet, statt erstmal zu versuchen seinen eigenen ukrainischen Staat zu gründen.
Weiterhin woher kommt bei dir die Vorstellung, dass es nur einen ukrainischen Staat geben konnte, der naturgemäß die einzig rechtmäßige Vertretung aller Ukrainer sei?
Von der "lokalen Bevölkerung" ? Wann wurde die denn wo auf dieser Erde gefragt?
Z.B.:
- 1859/1860 in Savoyen und Nizza
- 1859/1860 in Toskana, Modena, Parma, Lucca und Beider Sizilien
- 1918/1919 in Teilen Westpreußens, Nordschleswig, Masurens, Oberschlesiens
- 1918/1919 in Deutsch-Westungarn aka. Burgenland, in Kärnten
- 1935 Saargebiet
Ist jetzt zeitlich nicht so weit von den Kontexten der Westukrainischen VR weg.
Davon abgesehen hat man, was die internationale Politik betrifft den Wünschen anderer Staatsgebilde, die sich aus der Konkursmasse des Zarenreichs gelösten ja auch entsprochen, neben Polen namentlich Litauen, Lettland, Estland und Finnland.
So zu tun, als wäre ein west-ukrainischer Staat unter Einschluss Ostgaliziens nach dem 1. Weltkrieg ein völliges Hirngespinst gewesen geht nun doch etwas an den Entwicklungen und Spielräumen der Zeit vorbei, würde ich meinen.
Nach deiner Logik hätte kaum ein Staat der Erde jemals einen Anspruch auf sein Staatsgebiet formulieren dürfen.
Welche Logik meinst du da jetzt im Speziellen?
Im Falle Ostgaliziens wurden mit der 2. Polnischen Republik und der Westukrainischen VR zwei Staatsgebilde im nahezu identischen Zeitraum begründdet, die beide ein bestimmtes Territorium für sich beanspruchten, von denen keiner für sich beanspruchen konnte unmittelbarer Rechtsnachfolger des früheren Inhabers ddes Territoriums zu sein.
Das es unter solchen Umständen, sinnvoll gewesen wäre die Zugehörigkeit des Territoriums, vom Willen der Bewohner abhängig zu machen wirst du nicht bestreiten wollen?
Und dass eine Handlung, die darauf hinausläuft sich mit gewalt etwas anzueignen, auf das auch andere möglicherweise Rechte haben könnten unter Ignoranz von Verhandlungsmöglichkeiten und Vermittlungsversuchen nach Aneignung die Legitimität dieses Besitzes eher schmählert, darüber sind wir uns doch auch einig?
Dass ein irgendwie gearteter Ukrainischer (oder Weißrussischer) Staat legitime Ansprüche auf ein Territorium haben könnte ist völlig unabhängig davon, ob der jeweiligen Bevölkerung die jeweilige Regierungsform gefällt.
Ein solcher legitimer Anspruch könnte sich aber nur aus tradierter zugehörigkeit dieses Territoriums zum entsprechenden Staat herleiten.
Und eine solche bestand nicht.
Das Russische Reich, als wenn man so will Rechtsvorgänger der Sowjetunion hatte auf alle Rechte an diesen Territorien ja im Brest-Litowsker friedensvertrag verzichtet.
Einen ukrainischen Staat in diesem Sinne hatte es vorher ja nicht gegeben.
Auch wurde die Westukrainische VR deutlich früher ausgerufen, als die "Ukraninsche SSR".
Wie du hier also auf irgendwelche legitimen Ansprüche seitens der letzteren auf dieses Gebiet kommst, ist mir schleierhaft.
Als die "Ukrainische SSR" gegründet wurde, reichte ihr Territorium im Westen wegen des Bürgerkriegszustands nicht einmal an Kiew heran, weswegen notgedrungen Charkow/Charkiw zunächst Hauptstadt wurde.