Wie prüde waren die 1950er Jahre?

Beim Biedermeier könntest du recht haben, für so prüde halte ich die Zeit nicht. Bei der Victorianischen Zeit (so weit sie sich mit de Biedermeier nicht überschneidet) würde ich dir widersprechen, die hatte schon extrem schräge Sozialkonventionen.

Oscar Wilde wurde letztlich durch seine Verurteilung und den Prozess wegen Homosexualität ein gebrochener Mann. Den Unsinn so mancher Konventionen nahm ja Wildes Romanfigur Sir Henry Wotton aufs Korn, immer wieder betont er die Spießigkeit der britischen Gesellschaft, bedauert, dass etwas, was einen Mann in Paris zum Helden des Tages macht in GB seine Reputation ruiniert, aber als eine ausgesucht prüde Gesellschaft kann man das London der späten viktorianischen Zeit, das Wilde in dem Roman "The Picture of Dorian Gray" entwirft ja eigentlich nennen.

So einige "Laster" des Dorian Gray werden ja nur angedeutet: Homoerotik, Homosexualität und Sado-Masochismus. Beides hatte eine gewisse Tradition in Großbritannien.

Dann ist natürlich auch Viktorias Ära lang, ein Zeitraum von den 1830ern bis zur Jahrhundertwende. Die Queen, der man extreme Prüderie nachsagte, hatte als junge Frau Sex mit Albert anscheinend sehr gerne und sie bekannte, dass sie ihn gerne in engen Breeches sah.

Auch der Lebensstil des Thronfolgers "Berty" war alles andere als prüde, eigentlich eher promiskuitiv. Also ich würde die viktorianische Ära auch für liberaler als das Biedermeier halten, bin aber auch in der Ära, obwohl sie sich teilweise überschneidet besser informiert, als über Letzteres.
 
Dann ist natürlich auch Viktorias Ära lang, ein Zeitraum von den 1830ern bis zur Jahrhundertwende.
Da wäre man bei der Frage der zeitlichen Eingrenzung.

Ich halte die ausgehende viktorianische Epoche (etwa ab den 1890er Jahren) durchaus nicht für eine besonders prüde Zeit auch nicht unbedingt den Anfang (der sich noch mit dem Biedermeier überschneidet).
Das was dazwischen liegt schon.

Hängt aber vielleicht auch mit einem starken Fokus auf die deutschen Verhältnisse und dem konservativen turn nach der 1848er Revolution zusammen, dass ich diesen Eindruck habe.
 
Komisch, in den 2 Jahrzehnten (ca. 1965-1985), die viel näher an der patriarchalischen Gesellschaft der 1950er Jahre lagen, gab es bei uns die größte Freiheit in Punkto Nacktheit (Miniröcke, FKK) und Sexualität (Pille), doch niemand redete von Belästigungen der Frauen. Warum? Weil gerade Frauen die größten Profiteure der Freiheiten waren. Sie mussten nicht mehr warten, bis ein Mann sie anspricht, sondern konnten selbst aktiv werden. Sie konnten allein in eine Wirtschaft gehen, konnten auf der Straße rauchen, was vorher nur Männern vorbehalten war, etc.
Oh doch, Frauen haben durchaus über sexuelle Belästigung geredet, sie haben es ja häufig selbst erlebt. Um 1970 hatte ich häufiger die Situation, dass ich abends am Hauptbahnhof einer westdeutschen Großstadt um 22 Uhr fast 50 Minuten auf den Anschlussbus warten musste. Ich habe mich wenn möglich neben ein Paar mittleren Alters gestellt, um Belästigungen zu vermeiden. Frauen waren damals um diese Uhrzeit selten allein unterwegs. Und allein in irgendeine Wirtschaft gehen, wo man das Publikum nicht kannte?
Diese Themen hat in den 1970er Jahren die neue Frauenbewegung aufgegriffen, nämlich, dass Frauen in ihrer Bewegungsfreiheit extrem eingeschränkt waren, weil sie ständig mit sexueller Belästigung rechnen mussten.
Wir gehen seit Mitte der 1980er Jahre wieder in Richtung Konservatismus und Repression.
Warum? Weil man heute vielleicht nicht mehr so viel nackte Haut auf den Titelbildern von Illustrierten sieht, wie in den 70ern? Weil Frauen sich dagegen wehren, Sexualobjekte zu sein?
Seit den 1980er gibt es Änderungen im Sexualstrafrecht, in dem immer mehr vorher tolerierte Verhaltensweisen jetzt unter Strafe stehen
Dann nenn´ doch mal ein paar konkrete Beispiele. Meinst du vielleicht Vergewaltigung in der Ehe? Ja, das hat die Freiheit der Ehemänner tatsächlich eingeschränkt. Sie haben nicht mehr die Verfügungsgewalt über den Körper ihrer Frauen.
Die Freiheit der Weimarer Republik dauerte nicht einmal 20 Jahre und sie sexuelle Revolution der 68er, wie schon gesagt, auch nicht mehr als 20 Jahre.
Gab es in der Weimarer Republik tatsächlich so viel mehr sexuelle Freizügigkeit als davor und danach? Die geltende Sexualmoral wurde durch das Ehe- und Familienrecht festgeschrieben, das im BGB fixiert war, welches 1900 in Kraft trat. Hat man das BGB in diesen Punkten in der Weimarer Zeit reformiert? Konnte man als unverheiratetes Paar überall in Deutschland ohne Probleme zusammenleben oder nur in einigen Berliner Künstlerkreisen? Wurden uneheliche Mütter und Kinder generell nicht diskriminiert? Gab es einen unproblematischen Zugang zu Verhütungsmittel? Dass Josephine Baker in Berlin nackt getanzt hat, sagt nichts über die allgemeine Sexualmoral. Strip tease gab es in den 50ern auch schon.
Neue Entwicklungen wurden in den 1950er nicht angestoßen,

Schon mal vom Rock `n Roll gehört?
LG Frederuna
 
Nie was von

„Befreit die sozialistischen Eminenzen
von ihren bürgerlichen Schwänzen“

gehört?
Das richteten die weiblichen Mitglieder des SDS an ihre männlichen Genossen.
Das war dann der Anfang der neuen Frauenbewegung. Dabei waren die Jungs ja sooo wenig repressiv. Wie hieß das noch : "Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment."
LG Frederuna
 
"Sex" war etwas für diejenigen, die Zeit dafür hatten (Gunter Sachs u.ä.). Für die anderen galt: Kinder machen, das reichte allemal. Diesen Punkt hat Adenauer in seiner Rentengesetzgebung berücksichtigt: "Kinder kriegen die Leute immer." Als die Prüderei in den 60er Jahren abnahm, nahm aber auch die Zahl der Kinder ab; ich finde das ein interessantes Phänomen.
Hängt beides mit der Pille zusammen, die Pille bot eine gewisse Sicherheit vor ungewollten Schwangerschaften und war daher für Frauen tatsächlich zunächst eine Befreiung. Zunächst? Die Nebenwirkungen. Und die heruntergehende Geburtenrate ist nicht umsonst als Pillenknick in die Geschichte eingegangen.
 
letzten Endes war die französische Revolution ein allen Menschenrechten widersprechendes Terrorregime
Letzten Endes? Nein, das Terrorregime war nur ein 1 Jahr (von Juni 1793 bis Juli 1794) dauerndes Intermezzo. Ein Irrweg der Revolution, dem am Ende selbst die Protagonisten des Terrors zum Opfer fielen.

Die Prüderie des Biedermeiers und des Viktorianischen Zeitalters? Ist das nicht ein ganz plattes Klischee?
Zum Klischee kann nur werden, was tatsächlich und vielfach vorhanden war. Die o.g. Prüderie zum Klischee zu erklären, damit bestätigst du das Vorhandensein dieser.

Mein Punkt ist aber der: Gerade in den 1950er Jahren wurde der Grundstein für eine liberalere Gesellschaft gelegt.
In diesem Zusammenhang auf die Seite des Bundesverfassungsgerichts zu verweisen, scheint deine Meinung zu bestätigen. Aber dort klopft sich Bundesverfassungsgericht lediglich selbst auf die Schulter – und erwähnt u.a. nicht, dass es 2 Jahrzehnte Gesetze als mit der Verfassung vereinbar bezeichnet hatte, die eindeutig gegen die in der Verfassung seit 1949 vorgeschriebene Gleichberechtigung der Geschlechter verstießen.

Darum geht es aber nicht. Es geht darum, dass du eine zu einfache, zu unterkomplexe Gleichung aufmachst.
Möglich, aber du neigst dazu, die Proteste der Rechten als nicht so wichtig zu betrachten. Man muss das in Lichte der damaligen Zeit sehen: Die Meinungshoheit hatten eben die ehemaligen Nazis und die Kirchen: Die einen wurden klammheimlich wieder in Brot und Würde gesetzt, und die anderen wähnten sich als Sieger über die gottlose Weimarer Republik und die gottlosen Nazis und meinten, nun wieder, wie im Kaiserreich, die moralische Instanz zu geben.

Das richteten die weiblichen Mitglieder des SDS an ihre männlichen Genossen.
Bei jeder Revolution gibt es Radikale und Gemäßigte. Der SDS war linksaußen und musste die radikalen Frauen – genauer: Den Weiberrat in Frankfurt 1968 - in seinen Reihen tolerieren, um glaubwürdig zu bleiben. Aber schon 2 Jahre später gab es den SDS nicht mehr. Weil sie überzogene Forderungen stellten.

Du meinst, als Helmut Kohl den Rundfunksstaatsvertrag liberalisierte und das Privatfernsehen entstand?
Nein, ich meinte seinen Spruch von der "geistig-moralischen Wende", die eintreten müsse. Kohl hatte schon 1980 erkannt, dass sich der Zeitgeist nun in andere Richtung zu bewegen begann, aber die Union verlor noch gegen Helmut Schmidt. 4 Jahre später war es dann so weit - das Volk hatte genug von der Freiheit, wollte wieder wissen, wohin es gehen soll.

Ich hab noch nie davon gehört, dass es eine Schulverordnung gäbe, die Frauen das Tragen eines BH vorschriebe.
Als Beispiel: Dresscode für Lehrer an Schweizer Schule und das: So sollten sich Lehrer kleiden | NZZ und ev. auch das: Hotpants-Verbot in Baden-Württemberg: Schulleiterin bedauert Formulierungen

Welche Verschärfung schwebt dir den gerade vor? Vergewaltigung in der Ehe? Nein heißt nein?
Ich meine z.B. die Verschärfung des Pornografiegesetzes, mit dem die Jugendlichen den Kindern gleichgestellt wurden. § 184c StGB wurde erstmals 2008 eingeführt und 2015 und 2021 jeweils verschärft. Es ist klar, dass neue Straftatbestände jeweils neue Fälle generierten; das kann man an den Statistiken (in der Wikipedia gehen sie nur bis 2018) gut sehen.

Bsp. das Baden oben-ohne, das nicht nur erlaubt, sondern eigentlich ein Muss war, sofern die Frauen nicht als »prüde« abgestempelt werden wollten.(weiß ich aus Erzählungen von Betroffenen)
Es ist klar, dass prüde erzogene Frauen Schwierigkeiten mit der neuen Freiheit hatten, wenn es in der Gruppe sponatn hieß, gehen wir heute Nachmittag zur FKK (z.B. im Englischen Garten in München, ein Katzensprung von der Uni), da brauchte man natürlich keine Badesachen dabei haben.

Zwei Anmerkungen zum »Befreiungsschlag«, wie Du die 1970–1980er nennst:
• Heute zwar tabou die Erwähnung (da ziemlich unkorrekt, Homosexuelle anzuklagen), aber zumindest in Zürich wurden Päderasten toleriert (gemeint hier: mit Vorliebe für Teenager), sodass Schüler in der Bahnhofunterführung Shop-Ville täglich von Schwulen verfolgt und angesprochen wurden. Und zwar über viele Jahre, bis dies (vmtl.) irgendwann in den 1980ern abgestellt wurde.
• Geradezu verheerende Folgen hatte die sorglose Propagierung der Kindfrau als Sexobjekt. Bekanntes und extremes Bsp. wäre der Fall der späteren Schauspielerin Eva Ionesco, die mit Elf als Playmate im it. Playboy posierte, und später klagte. Die Verherrlichung der Kindfrau zwang Frauen nicht nur zu Mager-Figuren (mit unzähligen Bulimie-Opfern, darunter ein junges Mädchen in meinem Bekanntenkreis), sondern dürfte, wie ich annehme (ohne Zahlen zu kennen), eine große Anzahl von Pädophilen produziert haben.
Zu den Zuständen in Zürich kann ich nichts sagen, aber wenn ich lese, dass die Propagierung der "Kindfrau" als Sexobjekt eine große Anzahl von Pädophilen produziert wurde, dann kann ich nur sagen: Genauso wenig, wie Homosexuelle produziert werden, werden auch Pädophile nicht produziert: Sexuelle Orientierung ist nicht produzierbar, sie entsteht schon im Kinderalter oder eben nicht. Deswegen kann ein Pädophiler genauso wenig "geheilt" werden wie ein Homosexueller.

Oscar Wilde wurde letztlich durch seine Verurteilung und den Prozess wegen Homosexualität ein gebrochener Mann.
Das kann man auch für Alan Turing sagen. Und das war nicht im 19. Jahrhundert, sondern in den 1950er Jahren.
 
Es ist klar, dass prüde erzogene Frauen Schwierigkeiten mit der neuen Freiheit hatten, wenn es in der Gruppe sponatn hieß, gehen wir heute Nachmittag zur FKK (z.B. im Englischen Garten in München, ein Katzensprung von der Uni), da brauchte man natürlich keine Badesachen dabei haben.
Habe kein Interesse, Deine Bewertung von weiblichem Unbehagen zu durchleuchten.
 
Es war eine unfassbare Undankbarkeit der britischen Gesellschaft diesen Mann, dem sie so viel verdankte, zu Grunde zu richten weil er schwul war.
Na ja, Deutschland stand dem kaum nach: Ein Vier-Sterne-General wurde 1983 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, weil der Verdacht bestand, er wäre homosexuell. Und das waren nicht 1950er Jahre, sondern 1980er – allerdings haben wir damals eine CDU geführte Regierung gehabt und auch der Verteidigungsminister war CDU-Mitglied. Er blieb im Amt, obwohl er voreilig gehandelt und den Ruf des Generals nachhaltig beschädigt hatte, denn der Verdacht bestätigte sich nicht. Okay, der Minister wollte zurücktreten, aber der Bundeskanzler Helmut Kohl hatte den Rücktrittsgesuch nicht angenommen – wahrscheinlich sah seine geistig-moralische Wende nicht vor, dass man nach so einem gravierenden Fehler zurücktritt. :rolleyes:
 
Letzten Endes? Nein, das Terrorregime war nur ein 1 Jahr (von Juni 1793 bis Juli 1794) dauerndes Intermezzo. Ein Irrweg der Revolution, dem am Ende selbst die Protagonisten des Terrors zum Opfer fielen.

Und die 20.000 anderen Opfer der Guillotine.
Man muss jetzt wirlich nicht so tun, als sei das eine Marginalie. Auch andere historische Ereignisse, bei denen Blut ohne Ende vergossen wurde, dauerten nicht viel länger.
Das als eine "quantitée nègligiable" betrachten zu wollen, wird den Opfern dieser Verbrechen in keiner Weise gerecht.

Im Übrigen, der durchaus auch mit den Taten der Jakobiner zusammenhängende Bürgerkrieg in der Vendée dauerte deutlich länger (von 1793-1796) und forderte noch mal Opferzahlen in nochmal anderen Kategorien.

In diesem Zusammenhang auf die Seite des Bundesverfassungsgerichts zu verweisen, scheint deine Meinung zu bestätigen. Aber dort klopft sich Bundesverfassungsgericht lediglich selbst auf die Schulter – und erwähnt u.a. nicht, dass es 2 Jahrzehnte Gesetze als mit der Verfassung vereinbar bezeichnet hatte, die eindeutig gegen die in der Verfassung seit 1949 vorgeschriebene Gleichberechtigung der Geschlechter verstießen.

Auch in den 1970er Jahren wurden doch noch Teile der Gesetzgebung, die nach heutiger Betrachtung mit der Verfassung nicht in Einklang zu bringen sind, weiterhin in Kraft gelassen.

Oder kannst du mir z.B. erklären, wie die Straflosigkeit der Vergewaltigung in der Ehe mit dem fundamentalen Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, mit der Meschenwürde oder mit der durch das Recht geschützten persönlichen Ehre eines Menschen vereibar sind?
 
für weibliches Lehrpersonal sind vielerorts wieder BHs vorgeschrieben.

Ich hab noch nie davon gehört, dass es eine Schulverordnung gäbe, die Frauen das Tragen eines BH vorschriebe.


Für Deine Behauptung "Für weibliches Lehrpersonal sind vielerorts wieder BHs vorgeschrieben" hast Du also keinen einzigen Beleg gefunden.
In den ersten beiden Artikeln geht es noch nicht einmal um Schulverordnungen.
 
Möglich, aber du neigst dazu, die Proteste der Rechten als nicht so wichtig zu betrachten.
Das ist grundfalsch (und nebenbei beleidigend). Ich weise dich darauf hin, dass du nur das halbe Bild betrachtest, ich halte nicht die von dir allein betrachtete Hälfte andere Hälfte zu. Die eine Hälfte ist halt, dass es Anfeindungen gegenüber der Blechtrommel, Kästner, der Knef und sogar des amerikanischen Films gab. Die andere Hälfte, die du nicht siehst, ist aber, dass das alles kommerziell erfolgreich war, die Angreifer also eben keinen durchschlagenden Erfolg hatten, im Falle von Die Sünderin wahrscheinlich sogar einen künstlerisch fragwürdigen Film (von dem den meisten nur die anderthalb Sekunden nackter Knef in Erinnerung geblieben sind), zu einem der berühmtesten Filme der bundesdeutschen Filmgeschichte machten, der für die Knef der Startschuss für eine weitere erfolgreiche Karriere war.

Du wolltest ja ursprünglich mit deinen Beispielen beweisen, dass die 50er prüde waren. Das waren sie auf ihre Art, nur sind deine Beispiele halt denkbar ungeeignet, das zu belegen

Man muss das in Lichte der damaligen Zeit sehen: Die Meinungshoheit hatten eben die ehemaligen Nazis und die Kirchen: Die einen wurden klammheimlich wieder in Brot und Würde gesetzt, und die anderen wähnten sich als Sieger über die gottlose Weimarer Republik und die gottlosen Nazis und meinten, nun wieder, wie im Kaiserreich, die moralische Instanz zu geben.
Es ist immer nervig, wenn jemand, der im Geschichtsunterricht offensichtlich gepennt hat - Kulturkampf?! Antiultramontanismus?! Nie gehört! - meint, er sei berufen anderen „Nachhilfe“ in Geschichte zu geben.

Bei jeder Revolution gibt es Radikale und Gemäßigte. Der SDS war linksaußen und musste die radikalen Frauen – genauer: Den Weiberrat in Frankfurt 1968 - in seinen Reihen tolerieren, um glaubwürdig zu bleiben. Aber schon 2 Jahre später gab es den SDS nicht mehr. Weil sie überzogene Forderungen stellten.
Erinnern wir uns daran: Du hattest behauptet, die sexuelle Revolution sei eine Befreiung der Frau gewesen, die am meisten davon profitiert habe, weshalb man aus der damaligen Zeit auch keine Beschwerden von Frauen mehr höre. Jetzt haben wir plötzlich progressive Leute - Träger der sexuellen Revolution - die von ihren Genossinnen der sexuellen Ausbeutung bezichtigt werden und du tust das als radikale linke Splittergruppe ab... der SDS war natürliche eine radikale linke Gruppe, welche - außer vielleicht in Berlin und Frankfurt - entgegen aller Klischees nicht die Mehrheit der Studenten vertrat. Aber der SDS wäre 1967/68 die tonangebende Gruppe.

Nein, ich meinte seinen Spruch von der "geistig-moralischen Wende", die eintreten müsse.
An ihren Taten, nicht an ihren Worten sollt ihr sie erkennen. Was Kohl faselte und was er Inn die Tat umsetzte waren doch zwei ziemlich verschiedene Paar Schuh, gerade, wenn wir das Thema „Sittlichkeit“ ansprechen. Kohl konnte ja von geistig-moralischer Wende faseln, aber gleichzeitig das Privatfernsehen für seinen Duzfreund Leo von der Kette lassen (mit dem Argument, dass das das Niveau der Programmgestaltung hebe).

Kohl hatte schon 1980 erkannt, dass sich der Zeitgeist nun in andere Richtung zu bewegen begann, aber die Union verlor noch gegen Helmut Schmidt. 4 Jahre später war es dann so weit - das Volk hatte genug von der Freiheit, wollte wieder wissen, wohin es gehen soll.
Halten wir mal fest: 1980 war die CDU die stärkste Partei. Aber die FDP das waren bis 1998 die Kanzlermacber, da letztlich die Volksparteien nie gegen Sie regieren konnten. Es war die FDP, welche Schmidt während der Legilatur das Vertrauen entzog und Kohl zum neuen Kanzler machte. In der nachfolgenden Wahl verlor die FDP Stimmen und die CDU gewann dazu. Die SPD verlor Stimmen und die damals noch sehr linken Grünen (Spontiszene) zogen erstmals in den Bundestag ein.
Dass du „dem Volk“ unterstellst, es habe „genug von der Freiheit gehabt“ und nun „wieder wissen wollen, wohin es gehen solle“ ist an Arroganz gegenüber uns allen, dem Souverän der Bundesrepublik Deutschland, kaum zu überbieten.

Ich meine z.B. die Verschärfung des Pornografiegesetzes, mit dem die Jugendlichen den Kindern gleichgestellt wurden. § 184c StGB wurde erstmals 2008 eingeführt und 2015 und 2021 jeweils verschärft. Es ist klar, dass neue Straftatbestände jeweils neue Fälle generierten; das kann man an den Statistiken (in der Wikipedia gehen sie nur bis 2018) gut sehen.
Oh welch ein Skandal, die Einschränkungen der pornographischen Darstellung Minderjähriger ist verschärft worden. [ironie off]
Wenn DAS deine Standards sind, dann bin ich gerne „prüde“!
 
Die Prüden 50iger...

Die Koedukation setzte sich in den 50igern langsam durch.
In der SBZ/DDR ab 1945, in der BRD Bundesländerweise beginnend mit West-Berlin, BL Hamburg, BL Bremen und BL Hessen so ab den 50igern.

Die Prüden 50iger, das ist wohl wahr, die Erotik spielte zu Adenauer-Zeiten keine sehr erwähnenswerte öffentliche Rolle, aber...
Dafür war aber m.E. in den Kinos so einiges los.

Man knüpfte an, an eine Josephine Baker und die Hildegard Knef zeigte im Film „Die Sünderin“ auch ihren schönen Busen.
Dann gabs Filme mit der Ungarin Eva Bartok so z.B. „Dunja“.
Die Sonja Ziemann spielte nicht nur die „brave Bärbele Riederle“, sie war auch in so manchen anderen Filmen zu sehen.
M.W. könnte man auch Nadja Tiller z.B. in den Film von 1958 „Das Mädchen Rosemarie“ nennen.
Ich meine auch die Lilly Palmer als Puffmutter in den Film „Frau Warrens Gewerbe“ könnte man erwähnen. Et Cetera.


Und so ging es dann einige Jahre später munter weiter.

Wildwechsel“, „Eis am Stiel“, „Eyes Wide Shut“ , „Die 120 Tage von Sodom u.v.a.m.

Auch die DDR mischte da mit z.B.:
Im Film „Orpheus in der Unterwelt“ sah man die Euridyke (gespielt von Doris Gäbler) auch mit freien Oberkörper.
Ähnlich der DDR Film „Die Legende von Paul und Paula“, u.v.a.


In der „Süddeutsche Zeitung“ erschien am 30.01.2013 ein Artikel mit der Überschrift:

„Sexuelle Revolution durch Penicillin“

„Der Wandel der Sexualmoral in Nordamerika und Europa fand in den 60er Jahren statt, heißt es gemeinhin. Stimmt nicht sagen Ökonomen, die sexuelle Revolution habe deutlich früher angefangen. Und ihr Auslöser seien auch nicht die Antibabypillen gewesen - sondern andere Medikamente.“
 
Zuletzt bearbeitet:
Nehmen wir als Gradmesser der Prüderie das "kleine und große Geschäft":

Goethe um 1775:
Ein junger Mensch ich weiß nicht wie,
Starb einst an der Hypochondrie
Und ward dann auch begraben.
Da kam ein schöner Geist herbei
Der hatte seinen Stuhlgang frei,
Wie ihn so Leute haben.
Der setzt sich nieder auf das Grab,
Und legt ein reinlich Häuflein ab,
Schaut mit Behagen seinen Dreck,
Geht wohl erathmend wieder weg,
Und spricht zu sich bedächtiglich:
„Der arme Mensch, er dauert mich
Wie hat er sich verdorben!
Hätt’ er geschissen so wie ich,
Er wäre nicht gestorben!“

Beethoven, Frühromantik/Klassik:
"was ich scheiße, ist besser als alles, was Er je gedacht" (in einer Vitrine im Schott Verlag ausgestellt)

Heine, Vormärz vs Biedermeier: zur Teleologie
Beine hat uns zwei gegeben
Gott der Herr, um fortzustreben.
Wollte nicht, daß an der Scholle
Unsre Menschheit kleben solle;
Um ein Stillstandsknecht zu sein,
Gnügte uns ein einzges Bein.

Augen gab uns Gott ein Paar,
Daß wir schauen rein und klar;
Um zu glauben, was wir lesen.
Wär ein Auge gnug gewesen.
Gott gab uns die Augen beide.
Daß wir schauen und begaffen,
Wie er hübsch die Welt erschaffen
Zu des Menschen Augenweide;
Doch beim Gaffen in den Gassen
Sollen wir die Augen brauchen
Und uns dort nicht treten lassen
Auf die armen Hühneraugen,
Die uns ganz besonders plagen,
Wenn wir enge Stiefel tragen.

Gott versah uns mit zwei Händen,
Daß wir doppelt Gutes spenden;
Nicht um doppelt zuzugreifen
Und die Beute aufzuhäufen
In den großen Eisentruhn,
Wie gewisse Leute tun –
(Ihren Namen auszusprechen.
Dürfen wir uns nicht erfrechen –
Hängen würden wir sie gern.
Doch sie sind so große Herrn,

Philanthropen, Ehrenmänner,
Manche sind auch unsre Gönner,
Und man macht aus deutschen Eichen
Keine Galgen für die Reichen.)

Gott gab uns nur eine Nase,
Weil wir zwei in einem Glase
Nicht hineinzubringen wüßten
Und den Wein verschlappern müßten.

Gott gab uns nur einen Mund,
Weil zwei Mäuler ungesund.
Mit dem einen Maule schon
Schwätzt zuviel der Erdensohn.
Wenn er doppeltmäulig wär,
Fräß und log er auch noch mehr.
Hat er jetzt das Maul voll Brei,
Muß er schweigen unterdessen,
Hätt er aber Mäuler zwei,
Löge er sogar beim Fressen.

Mit zwei Ohren hat versehn
Uns der Herr. Vorzüglich schön
Ist dabei die Symmetrie.
Sind nicht ganz so lang wie die,
So er unsern grauen braven
Kameraden anerschaffen.
Ohren gab uns Gott die beiden,
Um von Mozart, Gluck und Haydn
Meisterstücke anzuhören –
Gäb es nur Tonkunst-Kolik
Und Hämorrhoidal-Musik
Von dem großen Meyerbeer,
Schon ein Ohr hinlänglich wär! –

Als zur blonden Teutelinde
Ich in solcher Weise sprach,
Seufzte sie und sagt«: Ach!
Grübeln über Gottes Gründe,
Kritisieren unsern Schöpfer,
Ach! das ist, als ob der Topf
Klüger sein wollt als der Töpfer!
Doch der Mensch fragt stets: Warum?
Wenn er sieht, daß etwas dumm.

Freund, ich hab dir zugehört,
Und du hast mir gut erklärt,
Wie zum weisesten Behuf
Gott dem Menschen zwiefach schuf
Augen, Ohren, Arm und Bein,
Während er ihm gab nur ein Exemplar von Nas und Mund –
Doch nun sage mir den Grund:
Gott, der Schöpfer der Natur,
Warum schuf er einfach nur
Das skabröse Requisit,
Das der Mann gebraucht, damit
Er fortpflanze seine Rasse
Und zugleich sein Wasser lasse?
Teurer Freund, ein Duplikat
Wäre wahrlich hier vonnöten,
Um Funktionen zu vertreten,
Die so wichtig für den Staat
Wie fürs Individuum,
Kurz fürs ganze Publikum.
Eine Jungfrau von Gemüt
Muß sich schämen, wenn sie sieht.
Wie ihr höchstes Ideal
Wird entweiht so trivial!
Wie der Hochaltar der Minne
Wird zur ganz gemeinen Rinne!
Psyche schaudert, denn der kleine
Gott Amur der Finsternis,
Er verwandelt sich beim Scheine
Ihrer Lamp – in Mankepiß.

Also Teutelinde sprach,
Und ich sagte ihr: Gemach!
Unklug wie die Weiber sind,
Du verstehst nicht, liebes Kind,
Zwei Funktionen, die so greulich
Und so schimpflich und abscheulich
Miteinander kontrastieren
Und die Menschheit sehr blamieren.
Gottes Nützlichkeitssystem,
Sein Ökonomieproblem
Ist, daß wechselnd die Maschinen
Jeglichem Bedürfnis dienen,
Den profanen wie den heilgen,
Den pikanten wie langweilgen, –
Alles wird simplifiziert;
Klug ist alles kombiniert:
Was dem Menschen dient zum Seichen,
Damit schafft er seinesgleichen.
Auf demselben Dudelsack
Spielt dasselbe Lumpenpack.
Feine Pfote, derbe Patsche,
Fiddelt auf derselben Bratsche,
Orgelt auf demselben Leder,
Springt und singt und gähnt ein jeder,
Und derselbe Omnibus
Führt uns nach dem Tartarus.

Alfred Döblin, roaring twenties, Weimarer Republik "Berlin Alexanderplatz"
die "Pums Kolonne", eine Einbrecherbande, hinterlässt bei jedem Einbruch einen frisch mittig auf den Boden gekackten Haufen als Markenzeichen; eines der Mitglieder der Bande muss immer entsprechend vorbereitet sein.

James Joyce, roaring twenties, Irland/Triest, "Ulysses":
ausführlich werden die Gedanken und Verdauungsvorgänge von Leopold Bloom beim kacken ausgebreitet

Piero Manzoni 1961
Merdad’artista, Künstlerscheisse

Tatort, Jurassic World, Supermodel etc..., heute
kein Kommissar, kein Dinosaurier, kein Supermodel scheißt und pisst, thematisiert diese elementaren vitalen Vorgänge auch nicht

daraus folgt: früher war man nicht so prüde wie heute q.e.d.

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Es ist immer nervig, wenn jemand, der im Geschichtsunterricht offensichtlich gepennt hat - Kulturkampf?! Antiultramontanismus?! Nie gehört! - meint, er sei berufen anderen „Nachhilfe“ in Geschichte zu geben.
dieser Beitrag inklusive Quellen als Ergänzung zur korrekten Beobachtung von @El Quijote
fett und rot markiert ist ein Hinweis zur Methodik der "Nachhilfe" zu finden
:D:D:D:D
 
Für Deine Behauptung "Für weibliches Lehrpersonal sind vielerorts wieder BHs vorgeschrieben" hast Du also keinen einzigen Beleg gefunden.
Stimmt, dass mit den BHs habe ich verwechselt mit anderen "Empfehlungen", die auch nicht ohne sind.

In den ersten beiden Artikeln geht es noch nicht einmal um Schulverordnungen.
Auch das stimmt. Dass es da keine Schulverordnung gab, sondern nur vom Lehrpersonal und/oder Schülern erarbeitete, d.h. selbstgemachte Empfehlungen, finde ich als stärkeren Indiz für Veränderungen des Zeitgeistes als das eine Verordnung von oben wäre.

Die eine Hälfte ist halt, dass es Anfeindungen gegenüber der Blechtrommel, Kästner, der Knef und sogar des amerikanischen Films gab. Die andere Hälfte, die du nicht siehst, ist aber, dass das alles kommerziell erfolgreich war, die Angreifer also eben keinen durchschlagenden Erfolg hatten, …
Dass ich die eine Hälfte nicht sehe, ist nicht wahr – hier wiederhole ich noch einmal, was ich bereits oben gesagt habe: Die Absicht der Protestierenden war nicht, den Filmproduzenten zum kommerziellen Erfolg zu verhelfen, sondern sie wollten, dass die inkriminierten Filme aus den Kinos verschwinden, was lokal teil- und zeitweise auch gelungen ist. Und die Protestierenden haben keinen durchschlagenden Erfolg gehabt, weil sich der Zeitgeist änderte. Dabei gibt es immer welche, die Veränderungen ablehnen. Und wenn sie lange genug warten, bekommen sie wieder Oberwasser – siehe die 1980er bis heute.

Das kann man übrigens auch an den Frisuren beobachten: Als Männer anfingen Haare lang zu tragen, wurden sie angefeindet von Leuten, die ihr Leben lang kurzgeschoren herumliefen, weil das zur Nazizeit so vorgegeben war. Und jetzt sind die langen Haare out, die Männer tragen es wieder kurz – und die Nazis sind auch wieder da.

Du wolltest ja ursprünglich mit deinen Beispielen beweisen, dass die 50er prüde waren. Das waren sie auf ihre Art, nur sind deine Beispiele halt denkbar ungeeignet, das zu belegen …
Meine Beispiele sind ungeeignet? Dann bitte bring du bessere!

du tust das als radikale linke Splittergruppe ab... der SDS war natürliche eine radikale linke Gruppe, welche - außer vielleicht in Berlin und Frankfurt - entgegen aller Klischees nicht die Mehrheit der Studenten vertrat. Aber der SDS wäre 1967/68 die tonangebende Gruppe.
Wir sind uns im Grunde einig. Wo wir uns nicht einig sind, ist die Bewertung: Du sagts, SDS wäre tonangebend gewesen, ich sage, das waren Schreihalse, die eben deswegen nach 2 Jahren von der Bildfläche verschwunden sind.

Dass du „dem Volk“ unterstellst, es habe „genug von der Freiheit gehabt“ und nun „wieder wissen wollen, wohin es gehen solle“ ist an Arroganz gegenüber uns allen, dem Souverän der Bundesrepublik Deutschland, kaum zu überbieten.
Auch Revolutionäre heiraten und haben Kinder, müssen langfristig Geld verdienen. Dafür brauchen sie geordnete Verhältnisse und keine permannente Revolution. Es gibt so ein Spruch, der diesen Wandel ziemlich treffend beschriebt: "Wer mit 20 Jahren kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer mit 30 Jahren noch Kommunist ist, hat keinen Verstand!"

An ihren Taten, nicht an ihren Worten sollt ihr sie erkennen. Was Kohl faselte und was er Inn die Tat umsetzte waren doch zwei ziemlich verschiedene Paar Schuh, gerade, wenn wir das Thema „Sittlichkeit“ ansprechen. Kohl konnte ja von geistig-moralischer Wende faseln, aber gleichzeitig das Privatfernsehen für seinen Duzfreund Leo von der Kette lassen (mit dem Argument, dass das das Niveau der Programmgestaltung hebe).
Was Kohl faselte, fanden die Wähler genauso gut, wie die Programme der privaten Fernsehsender – Zitat von Ludwig Thoma, dem ersten Chef von RTL:

"Der Köder muss dem Fisch gefallen, nicht dem Angler." – über das Programmangebot des Privatfernsehens;

Und was gefällt dem Fisch vulgo Volk? Nackte Haut. Damit haben Privatsender die Zuschauer/Voyeure geködert. Warum? Weil die sexuelle Revolution am Abflauen war. Noch in den 1970er Jahren haben Prostituierte geklagt, ihnen wären Kunden abhandengekommen, weil die Männer auch so genug Abwechslung durch "normale" Frauen bekämen.

Oh welch ein Skandal, die Einschränkungen der pornographischen Darstellung Minderjähriger ist verschärft worden. [ironie off]
Wenn DAS deine Standards sind, dann bin ich gerne „prüde“!
Gratulation!
So redeten und reden Mainstreamer zu allen Zeiten – mit dem Zeitgeist immer auf du und du.

Ähnlich der DDR Film „Die Legende von Paul und Paula“, u.v.a.
Der Film war eine Ausnahme – dazu ein Zitat:

Der offizielle Filmstart in den DDR-Kinos war am 30. März 1973. Einen Tag zuvor hatte die öffentliche Uraufführung im 1.200 Plätze fassenden Lichtspieltheater Kosmos stattgefunden. Da sich Erich Honecker einen liberalen Anstrich geben und missliebige Filme nicht einfach verbieten wollte, schickte er 800 linientreue Parteikader zur Premiere, um „schlechte Stimmung zu verbreiten“. Der Regisseur erinnerte sich später an diesen nervenaufreibenden Abend:[5]
„Von diesen 1.200 Plätzen waren 800 bestellte Leute aus Ministerien und so, und 400 Karten frei verkauft. Während der Film lief, war Eis. Wir dachten, das geht alles schief. Keiner rührte eine Hand, keiner regte sich. Und als der Film durch war, gab es 20 Minuten Beifall, aber nur von den 400 Leuten, die sich die Karten gekauft hat, und die anderen rührten sich nicht.“
– Heiner Carow: Interview[5]
Damit war der von oben verordnete Verriss gescheitert, und der Film wurde mit mehreren Millionen Zuschauern zum populärsten der gesamten DDR-Ära.[5]
 
Dass ich die eine Hälfte nicht sehe, ist nicht wahr
Stimmt. Bei deinem Tunnelblick kann das Sichtfeld kaum mehr als 1-2% des Gesamtthemas ausmachen, die Hälfte ist also euphemistisch untertrieben.
hier wiederhole ich noch einmal, was ich bereits oben gesagt habe
Ist nicht nötig. das Pannorama deines Tunnelblicks wird durch Wiederholung nicht vollständiger.

Dabei gibt es immer welche, die Veränderungen ablehnen. Und wenn sie lange genug warten, bekommen sie wieder Oberwasser – siehe die 1980er bis heute.
Das ist genau so Unfug, wie das methaphysische Beschwören irgendelcher in der Zeit umherirrenden Geister.
Es liegt viel mehr darin, dass dir bei deine Hineinsteigern in Gedanken-Kategorien einfach jedes vernünftige Verständnis von sozialer Fortschrittsmechanik abgeht:

Sozialer Fortschritt beginnt sich Bahn zu brechen wenn eine ausreichend große und poltisch gewichtige Gruppe ihn einfordert und droht das Machtgleichgewicht umzustürzen, wenn dem keine Konzessionen gemacht werden.
Aber diese Gruppe ist immer heterogen.
Die Interessen der verschiedenen beteiligten Akteure, die sich darin zusammenfinden sind naturgemäß unterschiedlich in ihrer Zielvorstellung und wenn sich gesellschaftlicher Wandel verlangsamt bzw. ein Transformationsschub abebbt, liegt dass grundsätzlich daran, dass diejenigen mit den weniger weit gestcktenn Zielen sich irgenwann saturiert sehen und sich deswegen aus der Protestbwegung verabschieden, womit sie an politischem Gewicht verliert und Konzessionen an sie in zunehmendem Maße überflüssig werden um sie, weil ihre Loyalität zu den herrschenden Verhältnissen mit ihrer abnehmenden größe zunehmend unwichtiger wird.

An dem Punkt angekommen, haben die verbleibenden Protestierenden zwei Möglichkeiten. Entweder zu akzeptieren, dass es auf diesem Weg nicht mehr weiter geht und zwecks Verfolgung weitergehender Ziele die eigene Programmatik zu ändern um neue, noch nicht saturierte Verbündete ins Boot zu holen und bei Zeiten einen neuen Anlauf zu starten, oder aber sie können gewalttätig werden und versuchen ihre weitergehenden Ziele, die für die Mehrheit nicht akzeptabel sind, dieser mit Gewaltmitteln aufzuoktroyieren.

Mit "lange genug warten" und methaphysischem Zeitgeistgeblubber hat das nichts zu schaffen.

Das kann man übrigens auch an den Frisuren beobachten: Als Männer anfingen Haare lang zu tragen, wurden sie angefeindet von Leuten, die ihr Leben lang kurzgeschoren herumliefen, weil das zur Nazizeit so vorgegeben war. Und jetzt sind die langen Haare out, die Männer tragen es wieder kurz – und die Nazis sind auch wieder da.
Und der Gehalt dieses Abschnitts wäre?
"Kleider machen Leute und Frisuren machen Nazis" oder wolltest du was anderes sagen?

Auch Revolutionäre heiraten und haben Kinder, müssen langfristig Geld verdienen. Dafür brauchen sie geordnete Verhältnisse und keine permannente Revolution.
Das ist in diesem Zusammenhang Unsinn, weil was sich in den 1970er Jahren abspielte letztendlich eine Reformbewegung war, und keine systemstürzende Revolution.
Sich für Reformen einzusetzen und ab und zu mal zur Demo zu gehen hindert niemanden am Geldverdienen. Ist ja nicht so, dass irgendjeamnd wegen des Tragens langer Haare oder irgendwelcher Liberalisierungsforderungen in die Illegalität abtauchen musste, die ein geregeltes Leben nicht mehr erlaubt hätte.
 
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Das kann man übrigens auch an den Frisuren beobachten: Als Männer anfingen Haare lang zu tragen, wurden sie angefeindet von Leuten, die ihr Leben lang kurzgeschoren herumliefen, weil das zur Nazizeit so vorgegeben war. Und jetzt sind die langen Haare out, die Männer tragen es wieder kurz – und die Nazis sind auch wieder da.
Auch Revolutionäre heiraten und haben Kinder, müssen langfristig Geld verdienen. Dafür brauchen sie geordnete Verhältnisse und keine permannente Revolution.
Und was gefällt dem Fisch vulgo Volk? Nackte Haut.
Noch in den 1970er Jahren haben Prostituierte geklagt, ihnen wären Kunden abhandengekommen, weil die Männer auch so genug Abwechslung durch "normale" Frauen bekämen.
...abgesehen davon, dass diese peinliche Blütenlese ein gewaltiges Erheiterungspotenzial hat, stellt sich eine ganz andere Frage: wann hatte Heinrich Heine @Dion kennengelernt?
Heine: "alles wird simplifiziert" (siehe #54)
 
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Weil die sexuelle Revolution am Abflauen war. Noch in den 1970er Jahren haben Prostituierte geklagt, ihnen wären Kunden abhandengekommen, weil die Männer auch so genug Abwechslung durch "normale" Frauen bekämen.

Das hat man befürchtet, das wegen der sexuellen Revolution keiner mehr in den Puff geht. Dem war aber nicht so. Im Gegenteil in Hamburg da gab es Wilfried Schulz, dann kam die GMBH und Nutella dann war da noch Chicago und einzelgänger wie Stefan Hentschel. Die haben in den 1970ern die besten Geschäfte gemacht. Was dann diese Welt zerstört hat, das war vor allem Aids, das Ausbleiben der Containerschiffe und der Seeleute, das war das Kokain und das waren die Morde, da wurde dann auch nicht mehr soviel Geld mit Prostitution gemacht.
Dass eine gute Frau an einem Tag 1000 DM heimbrachte- das war in den 1970ern Standard.

1970er das war die goldene Zeit. In Hamburg, in Frankfurt, in Köln. Die Einbußen das kam Mitte der 1980er, und das hatte mit der Hysterie wegen Aids aber nichts mit dem Abflauen der sexuellen Revolution.

Eine ungewollte Schwangerschaft oder ein Tripper, das war dann doch etwas anderes, als an Aids zu krepieren. Das ging ja damals sehr schnell, und hoppla, es trifft ja nicht nur Schwule, hoppla, es trifft ja nicht nur Junkies- es hat sich ja mancher bei einer Bluttransfusion geholt, manche starben innerhalb eines Jahres, andere bekamen es erst mit, als ihr Immunsystem schon hinüber war, da krepierten Manche innerhalb von Tagen, das war wie in den Tagen der Pest.

Gevögelt wurde deswegen aber nicht weniger, nur es ohne Netz und doppelten Boden wurde es gefährlicher, und zumindest der Kauf von Präservativen wurde ziemlich enttabuisiert in dieser Zeit. Man bekam die Dinger überall geschenkt wie früher Luftballons an Weltspartag.
 
Es ist klar, dass prüde erzogene Frauen Schwierigkeiten mit der neuen Freiheit hatten, wenn es in der Gruppe sponatn hieß, gehen wir heute Nachmittag zur FKK (z.B. im Englischen Garten in München, ein Katzensprung von der Uni), da brauchte man natürlich keine Badesachen dabei haben.
Wäre das nicht ein gutes Beispiel für die Ambivalenz dieser Form der sexuellen Befreiung? Freiheit bedeutet ja in ihrem besten Sinn nicht, dass eine bestimmte Gruppe von Menschen einer anderen sozusagen stellvertretend deutlich zu verstehen gibt, was sie als angemessen oder unangemessen, angenehm oder unangenehm empfinden soll. ElQuijote hat ja bereits darauf hingewiesen, dass auch in Kreisen der 68er gerade an dieser Stelle über offene oder verdeckte patriarchale Strukturen diskutiert wurde.

Möglicherweise war der vor einigen Beiträgen einmal angeführte Geschäftsführer aus den 50ern, der seine Sekretärin zu sexuellen Handlungen nötigte, gar nicht so weit entfernt von einem modern denkenden Studenten der 70er, der eine Kommilitonin zum FKK-Baden drängte, da sie sonst ja unnötig prüde sei. Wenn es dann stattdessen ein Dozent war, näherte es sich dem ersten Beispiel sogar noch stärker an.

Gerade im sexuellen Bereich (wenn auch gewiss nicht nur dort) ist Freiheit immer auch eine Sache der Abwägung und Abgrenzung von Interessen. Sonst wäre auch ein Grundherr oder gar Sklavenhalter, gegen dessen Zudringlichkeiten seine Dienstmägde oder Sklavinnen sich praktisch nicht wehren konnten, ein Symbol der Freiheit. [Das ist natürlich nur ein Extrembeispiel, weder der Geschäftsführer noch der Student sind ja Sklavenhalter; nicht dass ich an der Stelle missverstanden werde.]
 
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