"Mein Kampf" hin oder her - dieser Mann hat doch auch Reden gehalten, Auftritte gehabt. Und vor allem: Auch seine Schergen haben ja auf der Strasse deutlich gezeigt, "woher der Wind weht" bzw. wehen wuerde.
Ich denke schon, dass man sich wenigstens ungefæhr ausmalen konnte, dass man es hier nicht mit einer demokratischen Partei zu tun hatte.
Diese Straßenprügelnazis waren ja meist auch recht junge Leute. Hier wäre es auch mal interessant zu klären, inwieweit die Perspektivlosikeit und speziell die Jugendarbeitslosigkeit in der Weimarer Republik die jungen Männer radikalisiert hat. Ich denke das wird eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. Der Kampf rechts gegen links in den 20ern fiel ja nicht vom Himmel.
Die NSDAP schaffte es, einen großen Teil dieser Leute mitzunehmen und zu einer "Bewegung" für ihre Ziele zu formen.
Ähnliche Prozesse laufen ja auch heute in manchen Teilen der neuen Bundesländer ab.
Für viele der Älteren waren nach Versailles wahrscheinlich die ganzen restaurativen Elemente im NSDAP-Programm attraktiv.
Für Jung und alt der mediengehypte Führer, der ja teilweise in den Fußstapfen von Kaiser Wilhelm und der "guten alten Zeit" gesehen wurde.
Mein Eindruck ist, dass die ganzen totalitären und vernichtenden Elemente von vielen Wählern einfach in Kauf genommen wurde. Generell war man zu dieser Zeit mit den Menschenrechten ohnehin weniger Zimperlich, auf anderen Kontinenten wurden zu der Zeit Experimente an Ureinwohnern durchgeführt, in den USA mussten Schwarze im Bus hinten sitzen...
Nach der Implementation des Nationalsozialismus stellte sich dann auch für den kleinen Mann raus, dass konformistische Hardliner und Sadisten die meisten Karrierechancen hatten. Man konnte leicht Karriere im System machen indem man sein Anstandsgefühl ignorierte, sofern man je eines besessen hatte. Genug Leute ohne Weitblick gaben als Schreibtischtäter ohne Weitblick und Gefühl für die Konsequenzen ihres Handelns wahnsinnige Befehle weiter. Für Sadisten begann ohnehin eine große Zeit...
Ich denke, die meisten Leute wussten 1933 nicht, was für ein System sie erwartete, sie hatten kaum konkrete Vorstellungen von einem totalitären Faschismus in der Praxis mit seinen Konsequenzen.
Viele, wie ja auch in der Regierung dachten ja auch, dass Hitler im Wahlkampf reißerische Reden hielt, aber an der Macht dann schnell zur Vernunft kommen würde. (Die angekündigte "Lösung der Judenfrage" klang natürlich reißerisch, aber die Umsetzung ist natürlich noch mal eine andere Frage)
Dass er die Weimarer Republik in 2-3 Jahren zum Führerstaat umbauen konnte, ohne dass es eine große Gegenwehr politisch und gesellschaftlich relevanter Gruppen gab, war für viele sicher die erste Überraschung.
Das ging aus Sicht von 80% der Bevölkerung schnell und einigermaßen ungestört über die Bühne (sofern man nicht bei den Roten, "vaterlandslosen" Parteien Mitglied war). Aus Sicht wilhelministisch geprägter Konservativer war das vielleicht soagr ein "Reinigungsprozeß".
Die zweite Überraschung (die eigentlich keine mehr war) war, dass er dann tatsächlich auf dieser Basis kompromisslos seine Programme bis in die letzte grausame Konsequenz verwirklichte.
Es bleibt für mich immer noch die Frage, wo der Point of no return auch durch das Volk überschritten wurde. Hitler wurde bis zur Machtübernehme von den meisten Unterschätzt. Dann war er an der Macht, aber begann natürlich auch sofort, durch die Propaganda den Leuten das Hirn zu waschen...
Begleitet durch Inszenierung seiner Selbst, eigener Machtausweitung, aber gleichzeitig auch das gezielte Einschränken von gewissen "normalen" Bürgerrechten sowie der zunehmend radikalen Diskriminierung und später Verfolgung von Minderheiten.
Wieso hat das Volk an bestimmten Stellen nicht STOP gesagt? Einerseits wurde das in der Nachkriegszeit den Deutschen immer wieder vorgeworfen, aber andererseits: wie realistisch wäre das gewesen? Wie hätte sich bei all den oppotunistischen Mitläufern eine größere Opposition entwickeln können?
Ich würde nicht soweit gehen wie Goldhagen, dass die Deutschen "willige Vollstrecker" gewesen wären. Ein großer Teil waren aber piefige opportunistische Kleinbürger, dem Obrigkeitsdenken des Kaiserreichs verhaftet, die letztlich bereit waren, "Unannehmlichkeiten" (aus ihrer Sicht!) im 3. Reich mitzutragen und durchzusetzen, sofern es einen selbst nicht betraf, die Ostgebiete weit weg waren (bzw. die KZs ausser Sichtweite) und man evtl. sogar persönlich davon profitieren konnte.
Georg Elser hat erkannt, dass er diesen unheilvollen gesellschaftlichen Prozess letztlich nur stoppen konnte, indem er das Übel an der Wurzel ausrottete, was ihm am 8.9.1939 leider misslang.
Die Frage bleibt natürlich, warum es nicht mehr Menschen wie Elser gab. Waren die anderen zu eingeschüchtert? Oder hat es sie nicht interessiert? Oder haben sie sogar profitiert?
Wahrscheinlich gab es in D tatsächlich zu viele Mitläufer, welche sich selbst am nächsten waren und auf den eigenen Vorteil achteten.
Und um die Frage zu beantworten:
Aus meiner Sicht haben die Leute gewusst, wen sie wählen, aber sie hielten die Umsetzung für unwahrscheinlich, falls es doch klappt war es ihnen vermutlich auch egal, solange Arbeit da ist, abends was vernünftiges auf dem Tisch steht und man nicht ständig mit abgemagerten KZ-Häftlingen konfrontiert ist ("irgendwas werden die schon angestellt haben!") - so hart es klingt!