Dass die Kultur Europas allgemein auf den drei Säulen christliche Ethik, griechische Philosophie und römisches Recht fußt, dürfte unstrittig sein.
Ja, das ist unstrittig. Ich bezog mich auch nicht auf einen bestimmten Beitrag in diesem Faden, sondern auf den Tenor mancher Beiträge in anderen Fäden: Die Institution Kirche hätte normalerweise wenig Einfluss auf den Alltag der Menschen, es sei denn, ein Kleriker hatte auch weltliche Macht inne.
Demgegenüber sage ich, wer die Macht hat, mit ewiger Verdamnis zu drohen, wenn man seine Regeln nicht befolgt, ist mächtiger als ein Landesherr, der damals lediglich eine Körpersprache verhängen konnte: Was die christlichen Gläubigen vor allem beschäftigte und immer noch beschäftigt, war und ist das Leben nach dem Tod. Dass dieses Leben wichtiger als alles andere sei, hat die Kirche von Anfang an verkündet. Und wenn sie sagte, dies und jenes sei Sünde, die die Aufnahme in den Himmel verhindern würde, dann glaubten die Menschen das und handelten danach, wenn auch nicht immer.
Denn auch später, als Kleriker in Deutschland keine Länder mehr regierten, versuchte die katholische Kirche Einfluss zu nehmen - mittels der Lehrpläne und der Lehrerschaft. So verabschiedete die Fuldaer Bischofskonferenz im Januar 1925
Leitsätze und Weisungen zu verschiedenen modernen Sittlichkeitsfragen für katholische Lehrer.
Daraus geht u.a. hervor, dass
- das Turnen getrennt nach Geschlechtern zu erfolgen habe
- dasselbe auch für Baden und Schwimmen gelte
- bei ärztlichen Untersuchungen der Schuldkinder die Schamhaftigkeit (insbesondere der Mädchen) aufs peinlichste geschont werden müsse
- vor dem gemeinsamen Wandern von Jungen und Mädchen eindringlich gewarnt wird
- die sog. rhythmischen Schulen abgelehnt werden müssen, weil sie dem christlichen Sittengesetz zuwider seien
- die modernen Tänze, die fast alle von übler Herkunft sind, unter keinen Umständen länger geduldet werden dürfen, weil sie die Schamhaftigkeit und Sittsamkeit bedrohen
- bei der Bekämpfung der modernen Schmutzliteratur durchgreifende gesetzliche Maßnahmen ergriffen werden müssen
- dasselbe auch für sittlich anstößigen Darbietungen in Kino und Theater gelte
- die gegenwärtig herrschenden Modeunsitten mit ihrer tendenziösen Entblößung und Herausstellung des Körpers, die letztlich heidnischen Ursprung seien, zu verwerfen und mit Abscheu abzulehnen sind
- die Söhne und Töchter bei Tanzkursen nicht allein zu lassen seien, sondern von Eltern - wie früher! - zu beaufsichtigen sind
- die katholischen Volksvertreter darauf hinwirken müssen, dass der Staat dem schmachvollen Niedergang des deutschen Volkes, der sich in dessen Entsittlichung drohend ankündigt, umfassendere und ernste Gegenmaßnahmen trifft
- insbesondere die katholische Presse ihrer Verantwortung gerecht wird und diese Grundsätze sowohl im Text als auch bei den Illustrationen anwendet.
Wir wissen, die Entsittlichung des deutschen Volkes hatte tatsächlich fast zu dessen Niedergang geführt, aber diese Art von Entsittlichung meinte die Bischofskonferenz mit ihren Warnungen nicht. Sie fand aber gelehrige Schüler in den Nazis, die schon bald gegen vermeintlichen Schmutz in Literatur, Kinos und Theatern vorgingen, was nach der "Machtergreifung" von (Erz)Bischöfen lobend erwähnt wurde.
Bei dieser Zusammenstellung ist mir aufgefallen, dass die Kirche als Institution schon im Mittelalter, ja praktisch seit ihrem Bestehen gegen das Tanzen wetterte - selbst gegen den Walzer im 19. Jahrhundert!