Kampf der Kulturen – Zitat:
Wie eine Auswertung von Daten aus 76 Ländern zeigt, haben sich in den Jahren zwischen 1981 und 2022 Wertvorstellungen weltweit auseinanderentwickelt. Das gilt besonders für Ansichten, die mit Toleranz und individueller Freiheit zu tun haben.
Das hat man nicht erwartet, schließlich sollte die Globalisierung dazu führen, dass alle nicht nur
„die gleichen Telefone in der Tasche herumtragen, die gleichen Schuhe und die gleichen Kleider anziehen, in den gleichen Restaurantketten essen, die gleiche Musik streamen, die gleichen Filme ansehen und miteinander auf den gleichen Social-Media-Plattformen vernetzen - dann müssten sich doch auch die Wertvorstellungen der Menschen weltweit anpassen, oder?“
Aber davon kann anscheinend keine Rede sein. Mehr noch: Es ist sogar von Hass auf die westlichen Länder und deren Kulturen und Werte die Rede.
Und zugleich weiß man angeblich nichts über die Gründe für diese Entwicklung.
Ich dagegen vermute, dass im Westen das Christentum seit der Französischen Revolution die führende Rolle, die es bis dahin hatte, über die 230 Jahre seitdem immer mehr verlor und zuletzt kaum noch Einfluss auf die Gesetze der Staaten nehmen kann. Als Indizien für diese These kann man die Gesetze in jenen Ländern betrachten, die bis vor kurzem (Polen) oder immer noch starke institutionellen Kirchen haben (Russland, Lateinamerika). Auch in der islamischen Welt werden Staaten praktisch von Klerikern regiert (Iran, Pakistan, Afghanistan) oder werden von den Regeln des Islams stark beeinflusst (Ägypten, Saudi-Arabien, etc.) – so wie das in Europa vor der Aufklärung der Fall war.
In China ist die führende Rolle der kommunistischen Partei (Ideologie, einer Religion vergleichbar) festgeschrieben und verhindert individuelle Freiheiten und Freiheit der Presse aus Angst, die Menschen würden dann ihre führende Rolle nicht mehr akzeptieren.
Oder habt ihr eine andere Erklärung dafür?
So furchtbar bedeutend sind das Christentum/der Islam ja dann auch wieder nicht.
Die längste Periode der Menschheitsgeschichte ist die Menschheit ohne ausgekommen. Weder die attische Demokratie noch die Römische Republik hat dazu die Geburtshilfe einer monotheistischen Religion benötigt. Auf die Grundlagen demokratischer Streitkultur: These-Antithese ist man von allein gekommen, dafür brauchte es kein Christentum, keinen Islam-da sind Leute drauf gekommen, lange bevor Jesus oder Mohammed geboren wurden.
Die Menschheit ist durch Christentum und Islam auch nicht friedfertiger, toleranter oder weiser geworden. Sie war aber auch ohne das Christentum, ohne den Islam nicht unbedingt friedfertiger, toleranter und weiser. Auch ohne dass Christentum ohne den Islam kann die Menschheit vor die Wand fahren-und das hat sie oft genug getan, auch ohne dass Christentum und Islam alles verpatzt haben.
Sich von Religion zu befreien, Religion zu überwinden, Religion bekämpfen- auch das ist kein Patentrezept für eine freiheitliche Gesellschaft. Auch atheistische Staaten sind zu Intoleranz, Gewalt und Dogmatismus fähig. Der Verfall von Religion, der Verlust eines christlichen Weltbildes führt bei vielen Menschen keineswegs dazu, dass sie Freidenker, Agnostiker und Atheisten werden, viele füllen das Loch, das die etablierte Religion hinterlassen hat mit Esoterik und Verschwörungstheorien. Hier wie dort der Glaube an eine absolute Wahrheit, der Glaube, zu denen zu gehören, die den Durchblick haben, die Überzeugung auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen.
Auch säkulare, atheistische Ideologien können Gedankengewölle hervorbringen, die an Absurdität es mit dem Dogma von der unbefleckten Empfängnis aufnehmen können, die auch nicht weniger abwegig sind als die Annahme, dass der Koran sozusagen aus dem Nichts entstanden ist, dass Engel ins Weltgeschehen eingreifen und sich ausgerechnet einen Typen wie Mohammed aussuchen, ihm die absolute Wahrheit zu souflieren. Hat nicht auch der Kapitalismus ein Dogma: das vom unbegrenzten Wachstum?.
Leider gibt es eher wenige Indizien, die darauf hindeuten, dass Demokratie, Freiheit und Menschenrechte sich entwickeln, wenn nur erst die Religion überwunden ist. Wo das Christentum an Einfluss verlor, haben sich keineswegs idyllische Zustände entwickelt.
Gerade die Französische Revolution taugt nicht gerade als Erfolgsgeschichte für Demokratie und Menschenrechte: In Frankreich wurden Kirchen geschlossen, die Gräber der Könige geschändet, der Revolutionskalender und das Fest des Höchsten Wesens eingeführt. Das ging doch alles sehr weit- und zu weit.
Da hätten nach deiner These eigentlich ideale Bedingungen geherrscht, das Freiheit, Demokratie und Menschenrechte sich entfalten konnten. Das Gegenteil war der Fall. Der Wohlfahrtsausschuss hat Terror legitimiert, und es sind dem Wüten des Wohlfahrtsausschusses allein in Frankreich weit mehr als 20.000 Menschen zum Opfer gefallen, die unter dem "Rasiermesser der Nation ihr Leben ließen.
Beim Aufstand in der Vendee sind noch mehr Menschen ca. 300.000 dem Terror zum Opfer gefallen.
Die Russische Revolution war noch weit radikaler, da wurde die Macht der Kirche wirklich ausgeschaltet, und in der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten blieb das nicht nur eine kurze Episode, sondern da fristeten Religionen nur noch ein Nischendasein für Jahrzehnte. Auch in der SU haben freiheitlich-demokratische Positionen nicht durchsetzen können. Es kam zum Putsch einer Kader-Partei mit Terror. Kaum ein Staat hat mehr Bauern umgebracht, als die SU. Der Personenkult in totalitären Staaten hat alle Elemente einer Pseudo-Religion.
In der DDR spielten die Kirchen auch eine Rolle, als das Volk Demokratie einforderte, und die Kirche hat Schutzräume zur Verfügung gestellt, und einige Geistliche haben sich durch ihr Engagement auch Repressalien ausgesetzt, und Verdienste dabei, der Demokratie den Weg zu bahnen kann man ihnen nicht völlig absprechen.
Man mag von Johannes Paul II. halten was man will. Viele seiner Entscheidungen waren überaus kritikwürdig. Beim Widerstand gegen das kommunistische Regime in Polen, bei der Demokratisierung Polens kann man auch Johannes Paul II. gewisse Verdienste nicht absprechen.
Weder während der Französischen, noch während der Russischen Revolution und auch nicht in jeder beliebigen anderen Epoche der Menschheitsgeschichte haben sich Indizien dafür gezeigt, dass die Menschheit weiser, menschlicher und toleranter wird, wenn sie nur erst die Religion überwunden hat. Auch Atheismus ist kein Patentrezept gegen Barbarei.
Auch ohne sich auf das Christentum oder den Islam herausreden zu können, auch ohne monotheistische Religionen, die alles verpatzen ist die Menschheit imstande den Karren konsequent an die Wand zu fahren- und das hat sie getan und wird es wieder tun.