Ich habe mir nun mal mit Interesse die Dissertation von Klaus Anselm Vogel
SUB - Digitale Bibliothek - Dissertation von Klaus Anselm Vogel: Sphaera terrae - das mittelalterliche Bild der Erde und die kosmographische Revolution vorgenommen. Durchaus lesbar, allerdings zuwenig Bilder oder Skizzen
Was habe ich daraus gelernt? (Achtung, dies ist keine Rekapitulation der Dissertation, sondern eine kurze freie Nacherzählung
)
(1) Die Idee der Erde als Kugel scheint in der Tat tief verankert zu sein, auch im Mittelalter. Die arabischen Autoren (seit der Übersetzung der Geografie des Ptolemäus gegen 800) sind da ganz direkt (etwa Al-Biruni). Die europäischen Autoren sind - jedenfalls bis ins 12 Jh. - bedeutend zugeknöpfter, scheinen sich auf arabisches Wissen zu beziehen, was sie aber natürlich nicht offen sagen dürfen, und hantieren etwas unscharf mit den Begriffen "rund", "Kreis", "Kugel" und "Erde". Zu allem liefert Vogel viele Textstellen und ausführliche Autorenkritiken.
(2) Wenn man jetzt den Bereich der im 1. Jahrtausend bekannten Welt - die "Ökumene" - auf die Erdkugel projiziert (sie Posting oben), dann bedeckt sie etwa 10%. Was ist mit den Rest? Schon Ptolemäus teilt die Erdkugel deshalb in 4 Quadranten:
- Oben/Nord: Das ist der bekannte Teil
- Unten/Nord: Da könnten "Antipoden" leben
- Südlich des Äquators: Hier scheint die Sonne so intensiv, dass kein (menschliches) Leben möglich ist; aus Gründen, die wir gleich sehen werden, wäre es aber angenehm, auf dem oberen Südquadranten trotzdem einen (unbewohnten) Südkontinent zu haben ....
(3) Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Physik des Aristoteles, genauer der Schwere-Theorie der 4 Elemente: "Erde" ist unten, "Wasser" dadrüber, dann "Luft", dann "Feuer". Diese Element werden im jeweiligen (Volumen-) Verhältnis 1:10 postuliert. Es sollte also 10x soviel "Wasser" wie "Erde" geben, und dieses sollte diese "haushoch" bedecken. Man beachte, das dieses Wasser nicht "abfließen" kann, wie wir es heute als natürlich empfinden würden, es ist "leichter" als Erde und hat seinen "natürlichen Platz" deshalb ÜBER dieser. Die Erdkugel (aus dem Element "Erde" bestehend) ist aber der Mittelpunkt des Universums und der Schwere und der himmlischen Sphären.
(4) Der erste Gedanke ist, dieses ganze System aus Erde und Himmelssphären einfach in ein Wasserbad zu tauchen, aus dem die Erdkugel zur Hälfte herausragt.
Eine feinsinnigere Lösung besteht in ZWEI Kugeln: Der Erdkugel und einer umfassenden, etwa 10x so großen und exzentrischen Wasserkugel. "Oben" guckt da die Erde (zur Hälfte) heraus; "unten" ist unermesslicher Ozean. Diese geniale Konstruktion erfüllt alle Wünsche:
- 10x soviel Wasser wie Erde; das Wasser liegt im Wesentlichen "über" der Erde
- Die Unterseite der Erde ist untergetaucht, so dass weder Land noch Antipoden diskutiert werden müssen
- Allerdings wird dringend ein (unbewohnter) Südkontinent benötigt, damit die Erde nicht nach Norden abkippt
- Zudem scheint diese merkwürdige Konstruktion mit der Bibel verträglich!
(5) Erst Ende des 15. Jh. ist die Aristotelische Physik soweit aufgeweicht, dass nur noch eine vernünftige Menge Wasser postuliert wird, welches sich nach unseren heutigen Vorstellungen verhält, nämlich versickert oder sich einfach in den Meeresbecken sammelt. Jetzt erst gibt es auch einen Sinn, einen GLOBUS zu konstruieren, auch wenn große Teile von ihm - kurze Zeit wenigstens! - noch leer bleiben werden.
(6) Für den Kartographen (im Gegensatz zum "Kosmologen") war diese Erde-Wasserkonstruktion von geringer Attraktivität. Er hatte ja nur einen einzigen Quadranten darzustellen, wobei deren nördlicher (und auch östlicher) Teil sogar äußerst unbekannt war. Korrekt wäre die von Ptolemäuskarten bekannte Form eines (an der Spitze abgeschnittenen) Dreiecks (eine "Kegelprojektion") oder eines Halbkreises. Aber bei Verzicht auf ein Koordinatennetz konnte man dieses "ökumenische Weltviertel" auch als vollen Erd-Kreis darstellen.
Insofern hat sich für mich der ewige Widerspruch zwischen belegter Kartografie und rätselhaften Textstellen der mittelalterlicher Philosophen Schriftsteller nun eigentlich aufgelöst. Ja, die Welt war im Mittelalter eine Kugel - irgendwie!