Wenn man die Besiedelung des nordamerikanischen Kontinents teilweise teilt, dann wird man wohl nicht (so sehr) die "Ethnozidrhetorik" kritisieren können. Es ging ja auch einzig um die Schlacht am LBH und nicht um die kulturellen und sozialen Strukturen der Prärieindianer.
(NB: Plains, bitte - Prärie ist ein anderes Kulturareal.)
Ohne diese Informationen wird man jedoch zu falschen Schlüssen kommen (müssen); ich verweise nochmals auf die Einschätzung 'eindeutiges Kriegslager, weil mehrere Kriegshäuptlinge anwesend' und meine Erläuterungen dazu.
Die weitgehende Übertragung europäischer Strukturen auf indigene Ethnien war außerdem ein wichtiger Punkt, der das Verständnis für Abläufe, Ereignisse, Handlungsweisen *bei den Europäern bzw Amerikanern* sehr beeinflußt hat bzw diesem geradezu entgegenstand. Nicht nur war es lange üblich, die Häuptlinge indigener Ethnien als 'König' zu bezeichnen, es wurde ihnen auch eine entsprechende Machtfülle unterstellt wie sie europäischen Königen zu eigen war. Nichts hätte jedoch falscher sein können.
Daß eben aufgrund der etablierten sozialen Strukturen (nicht nur bei den Plainsvölkern) die Schwierigkeit bestand, daß Häuptlinge in Verhandlungen über Gebietsabtretungen keine Entscheidung vor Ort treffen konnten, sondern dies mit der Gesamtheit besprechen mußten, die danach im Konsens entschied, ist ein Faktum, das Verlauf und Ergebnis solcher Verhandlung entscheidend beeinflussen mußte. Ebenso die viel weitergehende persönliche Verantwortung und Entscheidungsfreiheit des Einzelnen bei vielen indigenen Ethnien, die sich jederzeit einem anderen Dorf, einer anderen Untergruppe anschließen konnten, wenn sie mit der 'politischen Linie' ihrer Anführer nicht (mehr) einverstanden waren, oder auch neue Dörfer/Untergruppen sich bilden konnten. Außerdem wurde nicht beachtet, daß die den Weißen natürlich in Kriegsfällen bekannten Anführer von Kriegszügen *nicht* befugt waren, Friedensschlüsse einzugehen, die für die gesamte Ethnie oder Konföderation bindend waren. Weiterhin gab es das Problem, das bewohnte Gebiete Kollektiveigentum waren, über das Einzelne in keinem Fall bezüglich einer Abtretung entscheiden konnten. Von weißer Seite wurde es lediglich als Hemmnis gesehen oder auch als Ausrede betrachtet, wenn bei Verhandlungen Häuptlinge nach Anhören von Forderungen einwendeten, sie müßten dies erst mit ihrer Gemeinschaft beraten.
Aufgrund dieser Umstände konnte es jederzeit geschehen, daß eine kleine Gruppe von Personen, die mit Friedensschlüssen, Verträgen etc nicht einverstanden war, sich abteilte und nicht an diese Abkommen gebunden fühlte. Oder Gruppen junger Männer zb auf Pferdediebstahl ausging, damit für weiße Begriffe Verträge verletzte. Im Fall von Vertragsverletzungen wurde übrigens auch nur selten differenziert, sondern kollektiv vorgegangen; es gab auch Fälle, in denen die von indianischer Seite zugesagte Bestrafung Schuldiger von weißer Seite nicht akzeptiert wurde. Ebenso mußte es zu Problemen führen, wenn Personen aus Kulturen, in denen die Versorgung Bedürftiger, Hungriger eine hohe soziale Pflicht war, sich zb einfach Rinder nahmen und schlachteten, weil sie Hunger hatten, was von weißer Seite natürlich als Diebstahl gewertet wurde. Von indianischer Sicht aus (da man ja auch häufig genug durch das Teilen von Vorräten etc europäischen Siedlern geholfen hatte) war es ein absolut asoziales Verhalten, Hungrige als Diebe zu brandmarken.
Wie gesagt, ohne Kenntnis bzw Zurkenntnisnehmen dieser Umstände landen wir schnell dabei, von den indianischen Völkern eine exakte Kopie 'weißer' Verhaltenscodices zu erwarten und zu einzufordern, nicht zuletzt mit Argumenten, die Haltungen und Einstellungen der Vergangenheit aufgreifen.
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Zum Thema 'Gefangene' ist anzumerken, daß von weißer Seite generell jede nichtindianische Person, die bei den Indianern lebte, als Gefangener angesehen wurde. Aus damaliger Sicht hätte natürlicherweise jeder Weiße das Leben in der weißen Gesellschaft/Zivilisation vorziehen müssen. Insbesondere weißen Frauen, die überdies mit indianischen Männern verheiratet waren und Kinder hatten, wurde von weißer Seite der Gefangenenstatus zugeschrieben; andererseits galten diese Frauen der weißen Gesellschaft als 'beschädigt' durch den sexuellen Verkehr mit einem indianischen Mann und bei Rückkehr - ob erzwungen oder freiwillig - waren sie Parias mit weniger als zweifelhaftem Ruf, oft genug wurden sie als 'Freiwild' angesehen, von ihren Geburtsfamilien verstoßen oder unter Verschluß gehalten.
Ähnlich verhält es sich mit den immer wieder behaupteten Vergewaltigungen durch Indianer - es gab in vielen indigenen Ethnien ein soziales Tabu gegen Vergewaltigung und indianische Frauen genossen eine sexuelle Selbstbestimmung, die weißen Frauen in der damaligen Zeit überhaupt nicht zugestanden wurde. Inklusive eines Scheidungsrechts; die Scheidung wurde bei den Plainsethnien von der Frau dadurch vollzogen, daß sie die persönliche Habe (Kleidung, Waffen) des Mannes vor das tipi legte, das ihr gehörte. Die Frauen mußten sich um ihr Überleben auch ohne 'Ernährer' im tipi keine Sorgen machen, da es die Pflicht der Gemeinschaft war, diejenigen zu ernähren, die dies nicht selbst konnten; die Frau konnte auch zb durch Anfertigen von Bekleidung etc für andere eine Bezahlung in Form von Jagdbeute erhalten.
In vielen Fällen wurden daher zwar Vergewaltigungen behauptet, die jedoch nicht stattgefunden hatten. Interessanterweise gab es zb bei den Lakota die - wenn auch nicht häufig angewandte - Praxis, bei Kriegszügen *männliche* Angehörige anderer nations zu vergewaltigen -- das wiederum ist nun etwas, das in keinem Fall von einem weißen Mann anklagend erwähnt worden ist. Wozu wir uns alle was denken können.
Gefangene Frauen und Kinder wurden im Gegenteil in der Regel von indianischen Familien adoptiert, die Frauen konnten Heiratsanträge annehmen oder ablehnen. Bewacht wurden sie solange, bis sie anfingen, sich der Sprache ihrer neuen Umgebung zu bedienen, dies galt als Anzeichen, daß sie gewillt waren, sich zu integrieren.
Die Behauptung, es sei zu Vergewaltigungen, gar Massenvergewaltigungen gekommen, wurde im 19. Jahrhundert nicht nur in Einzelfällen geäußert, sondern war sozus Standardvorwurf, jedoch nicht, weil es diese gab. Dies nicht nur in Bezug auf Personen, die Indianern 'in die Hände gefallen' waren, sondern es wurde zb auch (schon vor dem 19. Jahrhundert) afrikanischen Sklaven unterstellt, daß sie zuvörderst darauf aus seien, weiße Frauen zu vergewaltigen (dies ging ja bis ins 20. Jahrhundert hinein, das das Gerücht einer Vergewaltigung durch einen Afro-Amerikaner Lynchpartien auslöste). Es ist eines der Instrumente, die der Rassismus einsetzte, um einerseits Empörung und Wut zu schüren und anderseits 'die Anderen' zu dämonisieren und ihnen menschliche Verhaltensweisen, menschlichen Status abzusprechen, womit ein Vorgehen gegen diese Anderen wiederum als zwingend erforderlich dargestellt werden sollte.