Rachemorde an Nazis im Nachkriegsdeutschland?

zeden

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Guten Tag,
in einer Diskussion neulich im Bekanntenkreis über Eichmann kam die Frage auf, ob es im Nachkriegsdeutschland Rachemorde/-aktionen durch verfolgete Deutsche oder Juden (neben den Mossad-Aktionen) an Nazis gab? Gibt es da Infos zu irgendwo?
 
Die Organisation Nakam vergiftete Brot, das an ein Internierungslager, in dem SS-Leute einsaßen, geliefert wurde, das führte zu Krankheiten, aber zu keinem bekannten Toten. Yanush Peltz aus Kielce erschoss 1945 Hans Gaier, den für seine Brutalität berüchtigten Polizeichef von Kielce. Das ist meines Wissens der einzige nach Kriegsende erfolgreich vollzogene Rachemord an einem Täter.
 
Nakam: Nakam – Wikipedia .

Aus meinem nordwestdeutschen Heimatbereich waren solche Aktionen nicht bekannt, aber man mag mich gerne verbessern?
Alte Nazis schlüpften sehr schnell in alte Positionen über, dafür gab es sehr viele regionale Beispiele, auch ohne alle diese Namen nennen zu wollen.
Die damalige "Entnazfizierung" durch die englische Militärregierung, das war wohl eher eine Art "Feigenblatt", nicht mehr.

Man brauchte die lokalen und die regionalen "Experten" überall, in der Verwaltung, in der Organisation, und nicht zuletzt in der Polizei.
Mancher alte Polizist mutierte binnen Tagen zu einem demokratischen "Ordnungshüter".
"Gendarm", diese Bezeichnung wurde gerne weiterhin benutzt. Interessant auch, daß die wenigen Polizisten nach der deutschen Kapitulation wieder Faustfeuerwaffen tragen durften, und das sehr schnell.

Die Verstrickung der Polizei mit der SS spielte keine Rolle mehr, ob einer in der SiPo oder ehemals in der OrPo tätig war, das war egal.
Die sog. "Einsatzgruppen", das waren immer die Anderen, niemand hatte dazu gehört.
Das "Unter den Teppich kehren", das war schon immer eine deutsche Spezialität.

Micha
 
Es gab in den Geschäften meiner Großeltern nach 1945 einen Elsässer, ein Buchhalter.
Der Mann war im jungen Alter von nur 17 Jahren in die Waffen-SS freiwillig eingetreten. Der Mann war an dem Massaker in Oradour beteiligt.
Soweit mir bekannt, wurde der Mann nach 1945 in Frankreich zum Tode verurteilt, in Abwesenheit.

Ich werde den Namen des Herrn hier nicht nennen, das macht keinen Sinn nach diesen vielen Jahren. Er ist hier in Deutschland verstorben, ob er seine Heimat jemals wieder besucht hat, das ist mir nicht bekannt, vermutlich nicht.

Micha
 
Die damalige "Entnazfizierung" durch die englische Militärregierung, das war wohl eher eine Art "Feigenblatt", nicht mehr.
Die Denazification/Entnazifizierung lag in den Händen von Spruchkammern, das waren Zusammensetzungen von Nichtbelasteten, Gewerkschaftern, Sozialdemokraten etc. welche darüber zu befinden hatten, inwieweit jemand in das Regime und seine Verbrechen involviert war. Daran hingen dann sowohl öffentliche Jobs, als auch Renten und dergleichen. Eine tatsächliche Denazification oder Entnazifizierung, also eine Umerziehung, um den Leuten den Nazi auszutreiben, war damit nicht verbunden, auch wenn das Wort ein wenig danach klingt.
Letztendlich musste ein Fragebogen ausgefüllt werden und es kam zu einer Anhörung. Und wenn man etwas Entlastendedes (ein Leumundszeugnis) beibringen konnte, dann nannte man das "Persilschein". Dass diese Persilscheine oft (gegenseitige) Gefälligkeiten waren, wusste man auch damals, daher ja auch der Name "Persilschein", das war Spott. Wie ein Schiedsspruch ausfiel, das hing sehr von den einzelnen Personen, aus welchen sich die Spruchkammern loksal zusammensetzten ab, ob diese den zu "Entnazifizierenden" glaubten oder auch nicht. Ich hatte mal einen Fall auf dem Tisch, da war jemand bereits als entlastet eingestuft worden, da hat ein offensichtlich sehr orthodox linker Gewerkschafter noch mal in der SBZ nachgefragt, ob da nicht Akten über den Unternehmer (er kam aus Brandenburg, lebte aber seit 1944 in Niedersachsen) vorhanden seien, die ihn belasteten. In der Akte lag dann nur ein Schreiben von der Polizei aus dem Ort, wo das Unternehmen ansässig war, allerdings ohne Aktenvermerk oder irgendetwas, dass der Typ Dreck am Stecken und ein überzeugter Nazi sei, in seinem Werk seien osteuorpäische Zwngsarbeiter hingerichtet worden. Inwieweit die Sowjets da hineingeührt haben, weiß ich nicht. Als Leumundszeugnis fanden sich in der Akte Briefe vom Sommer 1945, von denen ich persönlich glaube, dass diese erst geschrieben wurden, als das Entnazifizierungsverfahren wieder aufgenommen wurde, will sagen, die Briefe sind vermutlich gar nicht im Sommer '45, sondern erst 1947/8 als das Verfahren wieder aufgenommen wurde, geschrieben wurden. Die Verfasserin dieser Briefe behauptete darin, eine - und das macht es mir verdächtig - namentlich ungenannte polnische Haushaltshilfe zu haben, welche vorher als Zwangsarbeiterin im Werk dieses Unternehmers gearbeitet habe, welche die Menschlichkeit des Unternehmers lobte. Ich denke, diese polnische Haushaltshilfe hat nicht existiert.
 
Natürlich hätte man den ehemaligen Freiwilligen der Waffen-SS in Frankreich hingerichtet, aber das fand nicht statt.
Der Mann hat nicht ohne Grund den Rest seines Lebens ausserhalb von Frankreich verbracht.

Ich erinnere einen freundlichen alten Herren, der meinen ersten deutschen Karabiner 98k in weniger als als einer Minute komplett zerlegen konnte, wie angeboren.
Das waren gelernte Griffe eines ehemaligen Soldaten. Wenn ich das heute erinnere, dann wird es mir schlecht, aber damals waren wir Kinder und Jugendliche unbedarfte Idioten, mit keiner Ahnung von gar gar nichts.

Wir hatten keine Ahnung, schon gar nicht über das Thema Oradour, uns interessierten nur die Waffen.

Micha
 
@zeden

Oskar Dirlewanger, selbst für die Verhältnisse der SS ein Scheusal, wurde 1945 nach seiner Gefangennahme im schwäbischen Altshausen vermutlich von ehemaligen polnischen Zwangsarbeitern erkannt und gelyncht.
Man brauchte die lokalen und die regionalen "Experten" überall, in der Verwaltung, in der Organisation, und nicht zuletzt in der Polizei.
Die Experten brauchst du nicht in Anführungszeichen zu setzen. Die Alliierten wollten vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Blockkonfrontation ihre Verantwortung für die deutsche Verwaltung zurückschrauben, das für die öffentliche Ordnung verantwortliche Besatzungsheer sollte verkleinert und schließlich aufgelöst werden; dazu musste man zwangsläufig auf Deutsche zurückgreifen, die auch vor der Kapitulation in der Exekutive tätig gewesen waren, denn es gab einfach nicht genug Exilanten, um einen Staat zu "machen".

Besagter Zwang machte sich in den unmittelbaren Nachkriegsjahren umso stärker bemerkbar, als ein nicht unbeträchtlicher Teil derjenigen, die nicht im Krieg gefallen oder versehrt waren, sich noch in Gefangenschaft befanden. Heute gilt die braune Altlast der frühen republikanischen Jahre oft als spezifisches Phänomen der Bonner Republik und wird als Folge alter Seilschaften abgehandelt, was auch stimmt, aber eben nicht ausschließlich. Auch in der DDR wurde – aus denselben Sachzwängen – auf Personal mit NS-Vergangenheit zurückgegriffen.
"Gendarm", diese Bezeichnung wurde gerne weiterhin benutzt.
Was deuten die Anführungszeichen hier an? Der Begriff hat keine nationalsozialistische Konnotation. In vielen historischen deutschen Teilstaaten entstanden die ersten Polizeien aus der Gendarmerie. In Altbayern ist Gendarm bis heute ein spaßhafter Begriff für einen Polizisten.

Immer noch besser als "Bulle".
Interessant auch, daß die wenigen Polizisten nach der deutschen Kapitulation wieder Faustfeuerwaffen tragen durften, und das sehr schnell.
Wieso? In den unmittelbaren Nachkriegsjahren gab es in Deutschland eine organisierte Schwarzmarktkriminalität, die mitunter auch gewaltbereit war. Warum hätte die deutsche Polizei nicht bewaffnet sein sollen?
Aber Fakt war und ist, diese Täter lebten hier in Deutschland, Satt und zufrieden, und oft sehr erfolgreich

Alte Verbindungen spielten eine Rolle, die "Juden" nahm man aussenvor. Noch in meinen Kinderjahren war der "Joed" ein gebrauchlicher Begriff in unserer Familie..
Die erfolgreichen Juden wurden beneidet, man hängte ihnen fragliche Geschäfte an, noch in den 1970er Jahren.

Freundinnen aus jüdischen Familien waren "tabu", wie meine geliebte Freundin Christiane, die einen typisch jüdiischen Nachnamen hatte.
Ich werde den Nachnamen nicht nennen, da dieser Nachname heute schon ein Problem wäre.

Wo sind wir hier in Deutschland angekommen, was wird aus uns, mit unserer grauenhaften Vergangenheit, für die unsere Urgroßväter und Großväter veranantwortlich waren, wollen wir dahin zurück?

Micha
Nichts für ungut, aber … Mich verwundert ein wenig das Pathos, das Du in praktisch jeden Deiner Beiträge mengst. Ich sehe auch nicht den Zusammenhang zwischen Deiner Schilderung der 1970er Jahre und dem letzten Satz. Woraus schließt Du, "wir" wollten "dahin" zurück?
 
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Guten Tag,
in einer Diskussion neulich im Bekanntenkreis über Eichmann kam die Frage auf, ob es im Nachkriegsdeutschland Rachemorde/-aktionen durch verfolgete Deutsche oder Juden (neben den Mossad-Aktionen) an Nazis gab? Gibt es da Infos zu irgendwo?

Vielleicht sollte man hier spontane Racheaktionen in der Nachkriegszeit durch befreite Zwangsarbeiter, von denen die meisten aus Osteuropa, insbesondere aus den besetzten Gebieten der Sowjetunion, stammten, auch erwähnen. Ich hatte irgendwo gelesen, dass diese an ihren Peinigern in der Landwirtschaft Rache nahmen. Ob es dabei zu Toten kam oder es bei Plünderungen oder Mißhandlungen blieb, ist mir nicht bekannt. An einigen Bauernhöfen wurden dann in kyrillscher Schrift auf Russisch (?) durch die befreiten Zwangsarbeiter Hinweise angebracht, wenn es sich um jemanden handelte, der seine Zwangsarbeiter schikanierte. Aber auch Hinweise auf "gute Bauern" wurden angebracht. Quelle kann ich spontan nicht angeben. Das war nur aus der Erinnerung, was ich irgendwann gelesen habe.

Die Organisation Nakam vergiftete Brot, das an ein Internierungslager, in dem SS-Leute einsaßen, geliefert wurde, das führte zu Krankheiten, aber zu keinem bekannten Toten.

Diese Gruppe hatte auch den Plan gehabt, mehrere Millionen Deutsche durch vergiftetes Trinkwasser umzubringen:


 
Vielleicht sollte man hier spontane Racheaktionen in der Nachkriegszeit durch befreite Zwangsarbeiter, von denen die meisten aus Osteuropa, insbesondere aus den besetzten Gebieten der Sowjetunion, stammten, auch erwähnen. Ich hatte irgendwo gelesen, dass diese an ihren Peinigern in der Landwirtschaft Rache nahmen. Ob es dabei zu Toten kam oder es bei Plünderungen oder Mißhandlungen blieb, ist mir nicht bekannt. An einigen Bauernhöfen wurden dann in kyrillscher Schrift auf Russisch (?) durch die befreiten Zwangsarbeiter Hinweise angebracht, wenn es sich um jemanden handelte, der seine Zwangsarbeiter schikanierte. Aber auch Hinweise auf "gute Bauern" wurden angebracht. Quelle kann ich spontan nicht angeben. Das war nur aus der Erinnerung, was ich irgendwann gelesen habe.
In Greven (nördlich von Münster) im Kommunalarchiv gibt es die Ausgaben einer Zeitung, welche polnische DPs, Ex-Zwangsarbeiter, 1945/6 herausgaben (auf Polnisch, eben eine Zeitung von polnischen DPs für polnische DPs). Es heißt, dass die Polen Wachen organisierten, welche die Bauernhöfe rund um Greven vor Plünderungen durch andere DPs schützten.
 
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